Die nächste Generation für den Gemeinderat

[Rhein-Neckar-Zeitung vom 22. Mai 2014]

Sieben Jungkandidaten stellten sich zum Interview – Sie diskutierten auch über den Windecksteg, Schulbudgets und den Internetausbau.

Von Philipp Weber.

Weinheim. Die Altersspanne war groß: Zwischen 20 und 37 Jahre alt sind sie, die Jungkandidaten zur Kommunalwahl, die sich der RNZ am Montag zum Interview stellten.Zu sagen hatten alle etwas: So erklärten sie, wie der Nahverkehr besser funktionieren könnte, diskutierten über Lösungen für die Probleme am Windecksteg – oder fachsimpelten über den Internetausbau.

Weinheims Jungkandidaten

> Sascha Pröhl (CDU), 28, studiert Politikwissenschaft.
> Dr. Frank Faulhammer (FW), 37, ist promovierter Diplom-Biologe.
> André de Sá Pereira (SPD), 22, studiert Wirtschaftsingenieurswesen.
> Shiva Naziri (GAL), 20, ist Auszubildende zur Zahnarzthelferin.
> Matthias Kühlwein (FDP), 22, studiert Geschichte.
> Simon Pflästerer (Weinheimer Liste), 30, ist Rechtsreferendar.
> Sasa Dizdarevic (Die Linke), 28, ist Systemelektroniker.

> Seit April ist das neue Busliniennetz in Betrieb. Trotzdem häufen sich die Beschwerden. Müssen Stadt und Gemeinderat nachbessern – oder sollte sich die Aufregung um die Veränderungen erst einmal legen?

Kühlwein: Ganz ehrlich: Ich bin bisher kaum dazu gekommen, mit den neuen Linien zu fahren. Nach allem, was ich gehört habe, war bei der Linienplanung zu viel Bürokratie im Spiel, künftig muss man sich öfter vor Ort umsehen. Pereira: Es ist einfach zu sagen, dass die Verwaltung Fehler gemacht habe. Einige Veränderungen müssen sich einspielen, andere Fehlerkannmanbeheben – bei den Schulbussen wurde ja schon nachgebessert. Jetzt alles umzuwerfen, würde keinen Sinn machen. Im Wahlkampf haben wir gehört, dass der OEG-Betrieb Richtung Heidelberg und Mannheim sehr gut läuft; Richtung Hemsbach ist aber schon um 0.30 Uhr Schluss. Wir hoffen auf Ruftaxen – oder auf Nachbesserungen, wenn die S-Bahn kommt.

Pflästerer: Das Ziel bestand ja darin, die Ortsteile besser an die Innenstadt anzubinden. Zwei Dinge fallen jetzt auf: Zum einen klappt das Abbiegen der Busse von der Bahnhofstraße in den ZOB nicht; und zum anderen hätte die Schulproblematik besser bedacht werden müssen. Grundsätzlich sollten Busse, die OEG und in
Zukunft die S-Bahn so abgestimmt sein, dass man nicht auf Weinheim beschränkt ist.

Faulhammer: Auch ich bin eher per Auto oder Rad unterwegs. Ich kenne das Problem noch aus meiner Zeit als Jugendtrainer der Flagfootballer bei der TSG Weinheim. Wir mussten Trainings unterbrechen, weil Kinder und Jugendliche gehen mussten; sonst hätten sie ihre Anschlüsse verpasst. Auch die Wege von den Sportstätten zu den Bushaltestellen sind zum Teil zu weit, vor allem abends.

Dizdarevic: Die Bündelung der Linien am ZOB macht Sinn. Kritikpunkt: Die Fahrpreise klettern immer weiter. Menschen in schwierigen Einkommensverhältnissen sollte durch ein Sozialticket die Nutzung ermöglicht werden.

Naziri: Noch vorwenigen Jahren habe ich selbst gemerkt, wie schwierig es ist, abends mit dem Bus heimzukommen. Ich benutze deshalb meist nachts das Ruftaxi. Bekannte haben mir erzählt, dass die Abfahrtszeiten sich wesentlich gebessert haben. Deshalb finde ich die Änderungen insgesamt positiv. Den Ausbau des öffentlichen Verkehrsnetzes begrüße ich.

Pröhl: Es ist interessant, dass niemand auf die Kosten eingegangen ist. Die Stadt muss das Netz mit viel Geld bezuschussen, von einer angeschlossenen Gemeinde bekommt sie gar nichts zurück. Taktverdichtungen müssen bezahlbar bleiben, Busse dürfen den Individualverkehr nicht verlangsamen. Man muss aber auch sehen, dass leere Busse vorkommen können. Die Stadt zahlt ja das Gesamtnetz, nicht einzelne Wagen. Interessant finde ich, dass das Bedürfnis, in die Großstadt zu kommen, bei einigen groß ist. Hier unterscheiden sich die Wünsche wohl sehr stark.

> Am Windecksteg gibt es Ärger zwischen Jugendlichen und Anwohnern, die Stadt hat Sitzgelegenheiten abgebaut, damit der Ort an Anziehungskraft verliert. Wie geht esweiter?

Faulhammer: Zu meiner Zeit gab es in der Weststadt auch Plätze, an denen wir rumgehangen haben. Das war dort weniger problematisch. Am Innenstadtsteg hat sich die Lage verschärft, auch weil der Supermarkt lange aufhat, man leicht an Alkohol und Zigaretten kommt. Der Abbau von Sitzblöcken löst das Problem nicht. Ich kann mir eher vorstellen, dass ein 18-Jähriger bockig reagiert und sein Bier erst recht dort trinkt. Ich finde, man muss eine Alternative bieten; einen Ort, an dem Jugendliche feiern können, ohne belangt zu werden. Beliebt war früher die „Schweinebucht“ am Baggersee, vielleicht wäre hier ein Grillplatz möglich. Die Stadt muss Kontakt zum Jugendgemeinderat aufnehmen; ich fühle mich hierfür fast schon zu alt (lacht).

Dizdarevic: Ich wohne selbst in der Grundelbachstraße. Seit die Sitzblöcke unterm Steg weg sind, ist es viel ruhiger geworden. Doch das grundlegende Problem wurde nicht gelöst. Die Möglichkeit für einen Treffpunkt am Dürreplatz sollte geprüft werden.

Pröhl: Um solche Probleme anpacken zu können, müssten mehr Parteien jungen Leuten die Möglichkeit geben, ganz vorne mitzukandidieren. Dann könnten sie auch im Gemeinderat echte Verantwortung übernehmen. Jugendpolitik in Weinheim bedeutet vor allem die Sicherung von Vereinen – und die Zurverfügungstellung von Treffpunkten, die ungeeignet sind. Etwa die Skateranlage an der Barbarabrücke – wo wenige Meter weiter ein Swingerklub ist. Warum richtet man den Treffpunkt nicht dort ein, wo die Jugendlichen sich treffen? Offenbar ist am Steg ein Bedarf vorhanden.

Pflästerer: Mir ist aufgefallen, dass neulich bei einem Gespräch am Windecksteg nur Erwachsene waren. Das ist schade. Es ist nicht billig, am Schlossberg zu wohnen. Und die Jugendlichen, die dort Party machen, sind oft keine Weinheimer. Warum ein Treffpunkt interessant wird, versteht man als Außenstehender oft gar nicht. Vor Jahren liefen solche Dinge noch im Schlosspark, da wurde ein Sicherheitsdienst eingeführt.

Pereira: Ich muss zugeben, dass dies der einzige Punkt ist, zu dem mir keine Lösung oder Forderung eingefallen ist. Natürlich könnte man einen Open-Air-Treffpunkt bieten, vielleicht an der B 3. Andererseits macht es keinen Sinn, einen Platz als Treff zu deklarieren – und dann kommt keiner. Hier müssen wir mit den Jugendlichen an einer Lösung arbeiten, Sozialarbeiter und Streetworker einbeziehen. In der Weststadt sehe ich das weniger, dort gibt es mehr freie Plätze.

Kühlwein: Es bringt nichts, wenn nur der Gemeinderat entschiede. Jugendliche müssen an der Wahl und Ausgestaltung des Treffs beteiligt werden. Mit ihnen müssen wir klären, ob sie einen Platz, eine Überdachung oder ein Haus wollen.

Naziri: In Weinheim ist an vielen Plätzen ab 18 Uhr tote Hose. Als meine Freunde und ich noch unter 18 waren – und da erinnere ich mich noch gut (lacht) –, hatten wir nicht die Möglichkeit zum Beispiel ins „Schabernack“ in der Gewerbestraße zu gehen. Es gibt einfach zu wenige Orte, an denen Jugendliche sich treffen können. Der Schlosspark war für uns so eine Möglichkeit. Auch nach den Gesprächen mit den Anwohnern werden der Platz unterm Windecksteg und die Tiefgarage dort weiterhin als Treffpunkte genutzt.

> Auch kleinere Gemeinden fordern bessere Internetanschlüsse und das Breitband-Netz, in Großstädten wird kostenloses W-LAN angeboten. Was muss in Weinheim passieren?

Pflästerer: Die Forderung nach dem schnellen Ausbau des Breitband-Netzes hat sich die WL für die Kreistagswahl auf die Fahnen geschrieben.Wer kein schnelles Internet hat, ist in manchen Branchen verloren. Das gilt auch fürs Handwerk, wenn komplexe Pläne wegen schlechter Verbindungen nicht gemailt werden können. Auch die Ortsteile würden an solch ein Programm angebunden.

Pereira: In Oberflockenbach wurde mir gesagt, dass es dort Internetgeschwindigkeiten von gerademal einem MBit gibt. So etwas können wir uns nicht mehr leisten. Aber es gibt eine Projektgruppe – und ich bin guter Dinge, dass wir das Projekt in zwei bis drei Jahren in die Wege geleitet haben.

Dizdarevic: Die Stadt sollte das Projekt Fibernet des Rhein-Neckar-Kreises aktiv unterstützen. Dort werden im ersten Schritt die Ortsteile versorgt, später sind flächendeckende Glasfaseranschlüsse geplant. Wird das Thema frühzeitig angegangen, werden Kosten im Tiefbau gespart. Der dafür notwendige Zweckverband ist aber noch gar nicht gegründet. Dabei schließen im Landkreis Bergstraße Kommunen bereits jetzt Ortsteile an. Es muss gehandelt werden, sonst ist der richtige Zeitpunkt schnell verstrichen.

Pröhl: Das Internet ist für die Ortsteile wichtig, aber ich sehe es eher als weichen Standortfaktor (Pflästerer schüttelt protestierend den Kopf). Für viele Menschen ist es wichtiger, dass ihre Infrastruktur erhalten bleibt. Sie wollen Möglichkeiten für ihre Vereine – dabei spielt auch das Hallenprogramm eine wichtige Rolle. Auch hier muss man auf die Finanzen achten: Der Kreis geht für Telekommunikationsanbieter in Vorkasse.

Faulhammer: Es geht auch darum, ob junge Familien noch in bestimmte Orte ziehen. Wenn einer mitbekommt, dass sein Haus kein schnelles Internet bekommt, sagt er sich womöglich: Nein, doch lieber nicht! Schließlich spielt das Arbeiten von zu Hause aus eine wichtige Rolle.

Naziri: Ich bin da keine Expertin. Aber ich bemerke, dass jeder ein Handy mit Touchscreen hat, fast alle auf Facebook sind. Ich denke, dass sich viele junge Erwachsene ein schnelles Netz wünschen.

Kühlwein: Ich bin hier ein Dinosaurier. In der Geschäftswelt wird ständige Erreichbarkeit verlangt – ich nehme mir aber manchmal den Luxus, nicht erreichbar zu sein. Dennoch setzt sich auch die FDP für einen Ausbau des Breitband-Netzes im gesamten Stadtgebiet ein.

> Reden wir über Bildung:Hier ist die Stadt unter anderem als Schulträgerin aktiv. Sind sie mit ihr zufrieden?

Naziri: Ich habe einen Teil meiner Schulzeit auf dem Werner-Heisenberg-Gymnasium verbracht. Damals war ständig im Gespräch, dass wir eine Mensa bekommen sollen. Immerhin das hat geklappt. Auch die Toiletten waren wirklich nicht gut. Die Helen-Keller-Schule (hier ist der Rhein-Neckar-Kreis Schulträger, Anm. d. Red) war dagegen sehr gut ausgestattet.

Faulhammer: Vor allem für die Albert-Schweitzer-Schule muss eine neue Lösung her. Wenn ich an Wahltagen in die Schule komme, stelle ich immer fest, wie wenig dort in der Vergangenheit investiert und saniert wurde.

Pflästerer: In Bildungsfragen plädiert die WL ganz entschieden für das Wirtschaftsmodell Schule, das schon in Mannheim sehr gut funktioniert. Im Moment bekommt jede Schule ein Jahresbudget. Da ist am Jahresende Panik angesagt – oder blindes Geldausgeben. Wir wollen ein Modell, mit dem die Schulen auch ansparen können (einige Kandidaten reagieren reserviert). Nein, damit meine ich nicht, dass es soviel Geld gibt, dass sich der Rektor eine Villa baut. In Mannheim werden buchhalterisch ausgebildete Sekretärinnen eingesetzt!

Dizdarevic: Ich kann mir eigentlich nicht vorstellen, dass die Schulen am Ende des Jahres sagen: Oh Mist, jetzt müssen wir schnell Geld ausgeben! Das wird in der Praxis wohl anders laufen. Ich finde, man sollte das Thema Betreuung viel stärker betonen. Hier ist viel zu tun.

Pröhl: Weinheim ist mit einer Großstadt wie Mannheim sicher nicht zu vergleichen. Dort sind die Schulstrukturen ganz anders als hier. Ein solches Wirtschaftsmodell halte ich hier für wenig sinnvoll.

Kühlwein: Meine Zeit an der Dietrich-Bonhoeffer-Schule ist nun auch schon eine ganze Ecke vorbei. Generell müssen Schulen so ausgestattet sein, dass guter Unterricht möglich ist. Es muss aber nicht jede technische Spielerei sei: Manchmal erfüllt eine einfache Kreidetafel ihren Zweck viel besser als irgendwelche digitalen Geräte.

Pereira: Mir ist als Schüler auch immer wieder der große Unterschied zwischen städtisch getragenen Schulen und Kreiseinrichtungen aufgefallen. In meiner Zeit an der Bonhoeffer-Schule wurde so sehr an grundlegenden Materialien gespart, dass die Schüler das merkten. Und das kann eigentlich nicht sein. Ich fand es auch sehr schade, das wir die Zweigstelle der Stadtbibliothek an der Schule verloren haben. Das war für mich ein ganz
falsches Zeichen.

> Von zu Hause ausziehen, sich eine größere Wohnung oder gar ein Haus suchen: Kann man diese Ziele in Weinheim noch verwirklichen?

Naziri: Wohnen ist für Jugendliche ein schwieriges Thema. Als ich mit 18 von zu Hause ausgezogen bin, hätte ich beinahe keine bezahlbare Wohnung gefunden und musste mich schon relativ weit weg von der Innenstadt umschauen. Ich denke, deshalb zieht es vor allem junge Erwachsene in andere Städte, wo sie billigen Wohnraum finden.

Pröhl: Laut Zensus gibt es in Weinheim 800 freie Wohnungen. Wenn man sich die Ortsteile anschaut, geht es auch preismäßig etwas nach unten. Aber Weinheim ist eben eine Boomregion, die viele Menschen anzieht; gleichzeitig nimmt die Bereitschaft ab, Wohnraum zu vermieten.

Dizdarevic: Wer hierher will, muss mehr bieten als andere. Da fallen Menschen mit geringen Einkommen schnell hinten runter. Ich möchte die sechs Millionen Euro, die durch den Verkauf städtischer Wohnungen an die Familienheim eingenommen wurden, für den verbliebenen städtischen Wohnraum nutzen, um Spannungen abzubauen.

Faulhammer: Glücklicherweise habe ich damals in der Ofling eine bezahlbare Wohnung gefunden. Inzwischen wohne ich in der Weststadt. Die Mieten sind hoch. Hat man weniger Geld, muss man einen netten Vermieter finden oder in die Ortsteile ziehen. Eine WG-Kultur haben wir nicht. Es gab mal die Idee, eine Fachhochschule anzusiedeln; das hätte auch Wohnheiminvestoren anlocken können.

Pflästerer: Kurzfristig ist das Problem nicht zu lösen, langfristig wäre das vielleicht im Sanierungsgebiet Westlich des Hauptbahnhofs ein Stück weit möglich. Aber keine Kommune kann beim Bau, etwa von Wohnheimen, alleine einspringen. Erst recht nicht, wenn es darum geht, jeden mit einer für ihn adäquaten Wohnung zu versorgen. Reine Mietskasernen sind für mich auch keine Lösung.

Pereira: Weinheim ist eine attraktive Stadt, da sehe ich gerade auch für die Jungen die Notwendigkeit, günstig wohnen zu können. Darüber hinaus gibt es immer mehr Singles. Das Modell des genossenschaftlichen Wohnens finde ich deshalb sehr gut. Man müsste dann aber auch neue Gebäude,wenigstens zum Teil, in Geschossbauweise erstellen. Mit Reihenhäusern alleine lässt sich das Problem nicht lösen.

Kühlwein: Ich habe da kein Patentrezept, so schön das auch wäre. Wenn die Bereitschaft zu vermieten runtergeht, muss man wohl zusätzliche Angebote schaffen. Entweder durch die Stadt selbst – oder durch Genossenschaftsmodelle.

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