Weniger Großprojekte, bessere Infrastruktur

[Weinheimer Nachrichten vom 15. Mai 2014]

WN-Wahlforum “60 Minuten”: Beim Thema Ortsteile gibt es viel Übereinstimmung / Stärkere Stellung der Ortschaftsräte und eigenes Budget für Ortschaften gefordert.

Weinheim. In einem der sechs Weinheimer Ortsteile auf die Kernstadt zu schimpfen, ist wie eine Beschwerde über die Höhe der Steuern: kein Widerspruch, von niemandem. Dass eine Diskussion über die Identität der Ortsteile zwar keine großen Gräben, aber feine Unterschiede aufzeigen kann, machte die Diskussion beim vierten und letzten WN-Wahlforum “60 Minuten” in der Weinheim Galerie deutlich.

Gemeinsam mit den WN-Redakteuren Sandro Furlan und Jürgen Drawitsch diskutierten diesmal Uwe Beuchle (CDU), Doris Falter (Freie Wähler), Martin Fath (SPD), Carsten Labudda (Die Linke), der kurzfristig für Bernd Eisele eingesprungen war, Dr. Michael Lehner (Weinheimer Liste), Cornelia Münch-Schröder (GAL) und Andrea Reister (FDP).

Die große Konfrontation blieb aus – dafür wurde deutlich, welche Themen den Ortschaften unter den Nägeln brennen. Generell wünschten sich alle Politiker, dass die Kernstadt Investitionen gerechter verteilt und die Ortschaftsräte mehr Mitspracherecht erhalten.

Auf die Frage von WN-Redakteur Furlan, ob in den Ortsteilen über das Budget überhaupt entschieden werden könne, sagte der Oberflockenbacher Fath: “Für mich ist es immer eine Farce, wenn ich mit den Ortschaftsräten in die Haushaltsberatungen hineingehe. Unser Spielraum ist so minimal, dass wir eigentlich gar nichts einsetzen können. Deshalb würde ich es sehr begrüßen, wenn die Ortschaftsräte ihr eigenes Budget bekommen würden.”

Das Problem könne leicht behoben werden, sagte Lehner: “Wir müssten uns nur an die Eingemeindungsverträge halten. Lehner: “Im Fall von Lützelsachsen waren 1972 450 000 Mark vorgesehen, das wären heute etwa zwei Millionen Euro.”

Gemeinderat entscheidet

Diese Forderung stieß auf allgemeine Zustimmung auch bei den anderen Kandidaten. Doch WN-Redakteur Furlan bohrte nach: “Was sind Empfehlungen des Ortschaftsrates denn noch wert?” Immerhin habe sich der Ortschaftsrat Lützelsachsen gegen eine Umbenennung der Grundschule in Hans-Joachim-Gelberg-Schule ausgesprochen, die der Stadtrat dann trotzdem beschloss.

Darüber ärgerte sich vor allem der Lützelsachsener Beuchle: “Das sind Vorgänge, die die Identität zerstören. Die Menschen in Lützelsachsen hat das geärgert.” Diesen Vorwurf wollten die anderen Kandidaten – bis auf Beuchle allesamt im aktuellen Gemeinderat beziehungsweise in einem Ortschaftsrat vertreten – nicht auf sich sitzen lassen. “Wir bügeln den Ortschaftsrat nicht nieder, das kann ich nicht auf mir sitzen lassen. Bis auf zwei Mal haben sich unsere Entscheidungen immer mit den Empfehlungen gedeckt”, sagte Stadtrat Labudda.

WN-Redakteur Drawitsch wollte in diesem Zusammenhang wissen, ob es nicht sinnvoll wäre, wenn der Gemeinderat die Empfehlungen der Ortschaftsräte nur mit einer Zweidrittelmehrheit kippen könnte. Für eine Kompetenzstärkung der Ortschaftsräte sei aber eine Änderung der Gemeindeordnung notwendig, gab Lützelsachsens Ortsvorsteherin Falter zu bedenken. “Und die kommt aus Stuttgart”, sagte sie. Solche Argumente wollte die Lützelsachsenerin Reister allerdings nicht so einfach hinnehmen: “Jeder von uns hat die Möglichkeit, eine Änderung der Gemeindeordnung über seine Partei ins Landesparlament einzubringen.”

Vereine stärken

Große Pläne also: “Aber was werden Sie konkret tun, um die Identität in den Ortsteilen zu stärken? Das war ja schon vor fünf Jahren Thema im Wahlkampf – hören wir diese Versprechen dann 2019 wieder?”, fragte Moderator Furlan. “In Oberflockenbach fehlt natürlich seniorengerechtes Wohnen”, antwortete Fath.

“Und es ist wichtig, dass die Vereine, die einen großen Teil der Identität eines Ortsteils ausmachen, versorgt sind – dass sie Räume haben, wo sie sich treffen können, dass die Bürger Räume haben”, sagte Fath. Hingegen sei die Diskussion um eine mögliche Schließung der Grundschule Rippenweier “katastrophal für so einen kleinen Ort, damit geht ein Stück Identität natürlich verloren”, betonte Fath. Man müsse die Infrastruktur in den Ortsteilen erhalten.

Generell plädierte er für einen gerechten Ausgleich bei den Investitionen in den Ortsteilen. Reister ging sogar noch einen Schritt weiter: “Wir wollen, dass die Diskussion um einen neuen Flächennutzungsplan jetzt begonnen wird und nicht erst in zwei bis drei Jahren. Damit wir sehen, wo sind die Bedürfnisse der Bürger und wie können wir den Bedürfnissen gerecht werden”, so Reister.

Nachhaltige Ortsteilentwicklung war das Stichwort, das Moderator Furlan mit Blick auf die Neubaugebiete aufgriff: “Hohensachsen hat West II, Lützelsachsen die Ebene – Hirschberg beschwert sich wegen des zunehmenden Verkehrs, Lützelsachsen wächst, kommt aber bei der Kernzeitbetreuung in der Grundschule nicht hinter.”

Das sei ein wichtiger Punkt, betonte Lehner. “Da muss der Gemeinderat in Zukunft auf die Bremse treten.” Es könne nicht sein, dass in Lützelsachsen Grundstücke verkauft würden, um neue Steuern zu bekommen und gleichzeitig die Infrastruktur vernachlässigt würde, sagte er.

Einfach abgewartet

Und Münch-Schröder stimmte zu: “Es gibt in Lützelsachsen viele Familien, die sich Betreuung für ihre Kinder wünschen und die in diesen Tagen Ablehnung bekommen haben. Das hat man kommen sehen, hat aber abgewartet. Es muss auch im Sinne des Landschaftsschutzes darauf geachtet werden, dass wir in Zukunft nicht mehr so große Neubaugebiete haben.”

Labudda sagte, in Weinheim rede man zu viel über Großprojekte. “Ein Beispiel ist die Schlossbergterrasse, die die Stadt wollte und in die sie zehn Millionen Euro gesteckt hat. Dieses Geld fehlt an anderer Stelle.”

Das Gelände westlich des Hauptbahnhofs werde Sanierungsgebiet – “Da sollen junge Familien hinziehen. Dieses Gebiet wird jetzt um seine Schulen gebracht. Wo sollen die Kinder hin? Zur Pestalozzi oder zu dem neuen Schul- und Kulturzentrum. Sie haben auf jeden Fall Schulwege über Hauptverkehrsachsen. Das muss man doch vorher überlegen und dem Oberbürgermeister klar machen. Das geht so nicht, weil das Großprojekt hinten anstehen muss hinter den Infrastrukturmaßnahmen”, so Labudda am Ende der Diskussion. vmr

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