Nicht den Status Quo halten, sondern Hartz IV überwinden
[Rede von Kreisrat Carsten Labudda, DIE LINKE, bei der Sitzung des Kreistages des Rhein-Neckar-Kreises vom 23. März 2010]
Sehr geehrter Herr Landrat, sehr geehrte Kreisrätinnen und Kreisräte,
SPD und Grüne haben in den Kreistag einen Resolutionsentwurf eingebracht, der sich für eine Änderung des Grundgesetzes zum Erhalt der gemeinsamen Aufgabenwahrnehmung von Bund und Kommunen beim SGB II (Hartz IV) ausspricht. Der vorliegende Entwurf von SPD und Grünen liest sich zunächst ganz gut. Gerade vor dem Hintergrund von über fünf Jahre gewachsenen Verwaltungsstrukturen rund um das SGB II rettet er – sollte sein Inhalt Tat werden – manches.
Manches, das sonst wegen Verfassungswidrigkeit nicht sein dürfte. Das tut er mit ein paar „kleinen Korrekturen“ an nichts Geringerem als unserem Grundgesetz. Mit anderen Worten: Die aktuellen Vorschläge festigen einen Status Quo, und zwar einen Status Quo, der seitens der Betroffenen – also der Erwerbslosen – vor allem als Bevormundung und Entrechtung wahr genommen wird.
Kanzler Schröder – sie werden sich an ihn erinnern – versprach vor Jahren vollmundig: „Jeder bekommt eine Vermittlungsgarantie.“ Die Vermittlungsquote ist aber seit Einführung von Hartz IV gesunken! Über sieben Millionen Menschen partizipieren an Hartz IV. Laut Bundesanstalt für Arbeit gibt es in Deutschland 800.000 offene Stellen. Da sieht doch jeder das Scheitern von Hartz IV. Der Landrat hat das eben erwähnt.
Die Stellschrauben bei Hartz IV wurden in den letzten Jahren durch 26 Gesetzesänderungen immer fester angezogen, zum Leidwesen der Betroffenen. Das können sie mir glauben. Wir von der LINKEN begleiten seit Jahren Betroffene bei ihren Ämtergängen und wissen, was wir da an oft beschämendem Umgang miterleben müssen, im Übrigen völlig unabhängig von der Form als ARGE, Optionskommune oder in getrennter Aufgabenwahrnehmung.
Um nicht falsch verstanden zu werden: Es ist für die Betroffenen natürlich leichter, zu einer Stelle statt zu zwei Stellen gehen zu müssen. Deshalb klingt der Antrag von SPD und Grünen ja auf den ersten Blick so interessant.
Genau darum will ich an dieser Stelle endlich einmal die Betroffenen zu Wort kommen lassen. Das war in der ganzen Debatte heute noch nicht der Fall. Und sie wurden ja auch beim aktuellen Kompromiss von Union, FDP und SPD – wie schon bei der Einführung von Hartz IV – überhaupt nicht in die Entscheidungsfindung einbezogen. Das Erwerbslosenforum Deutschlands hat das völlig zu Recht kritisiert. Zu den aktuellen Regelungen will ich deshalb diese Interessenvertretung Erwerbsloser zitieren:
„Hartz IV hat sich in seinem fünfjährigen Bestehen als unfähig erwiesen. Dies betrifft auch die neu geschaffenen Behördenstrukturen. Dies gilt um so schlimmer für die Optionskommunen, die kaum nachweisbare und nachhaltige Vermittlungserfolge aufweisen können. Letztere zeichnen sich jedoch dadurch aus, dass sie in ihren Repressionen sich quasi in einem rechtsfreien Raum bewegen können und Hartz-IV-Bezieher sich nicht auf bundeseinheitliche Rechtsauffassungen verlassen können. Es gab gute Gründe, warum man die Arbeitsvermittlung als Angelegenheit des Bunds haben wollte. Damit nicht kommunale Eigen- oder private Interessen Vorrang haben. Dies sollte bitte auch so bleiben. Der Missbrauch der Ein-Euro-Jobs im kommunalen Bereich wäre kaum möglich gewesen, wenn nicht die Kommunen entweder in allen Bereichen oder als Arbeitsgemeinschaften beteiligt gewesen wären. Wir benötigen keine Grundgesetzänderung, dies kann die Bundesagentur für Arbeit alleine bewältigen. Sofern die Kosten der Unterkunft durch die Interessen der Kommunen betroffen sind, kann dies – ohne Grundgesetzänderung – auf Grundlage qualifizierter Mietspiegel auch vom Bund übernommen werden. Wir wüssten keinen Grund, warum die Betreuung von Erwerbslosen vor Hartz IV durch die Arbeitsagenturen schlechter gewesen sein sollte. Im Gegenteil, durch Hartz IV ist sie für die Betroffenen schlechter geworden, während die Verfolgungsbetreuung mittlerweile unerträglich geworden ist.“
Soweit das Zitat des Erwerbslosenforums Deutschland.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und Grünen hier im Kreistag – aber auch an die Adressen von CDU und FDP,
Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass Sie mit Hilfe von ein paar „kleinen Korrekturen“ an nichts Geringerem als unserem Grundgesetz das von vornherein verfehlte Hartz-IV-Paket über die Runden bringen wollen. Eddie Chambers stand gegen Klitschko auch bis zur letzten Runde – aber in was für einem würdelosen Schauspiel!
Wollen Sie dann die viel zu niedrigen Regelsätze bei Hartz IV auch per Änderung des Grundgesetzes erhalten? Wo soll denn noch überall das Grundgesetz geändert werden, um verfassungswidrige Gesetze für verfassungstreu zu erklären?
Nein, DIE LINKE will Hartz IV nicht erhalten. Wir wollen Hartz IV überwinden.
Darum lehnen wir Ihren Antrag ab.
Sehr geehrter Herr Landrat, sehr geehrte Kreisrätinnen und Kreisräte,
SPD und Grüne haben in den Kreistag einen Resolutionsentwurf eingebracht, der sich für eine Änderung des Grundgesetzes zum Erhalt der gemeinsamen Aufgabenwahrnehmung von Bund und Kommunen beim SGB II (Hartz IV) ausspricht. Der vorliegende Entwurf von SPD und Grünen liest sich zunächst ganz gut. Gerade vor dem Hintergrund von über fünf Jahre gewachsenen Verwaltungsstrukturen rund um das SGB II rettet er – sollte sein Inhalt Tat werden – manches.
Manches, das sonst wegen Verfassungswidrigkeit nicht sein dürfte. Das tut er mit ein paar „kleinen Korrekturen“ an nichts Geringerem als unserem Grundgesetz. Mit anderen Worten: Die aktuellen Vorschläge festigen einen Status Quo, und zwar einen Status Quo, der seitens der Betroffenen – also der Erwerbslosen – vor allem als Bevormundung und Entrechtung wahr genommen wird.
Kanzler Schröder – sie werden sich an ihn erinnern – versprach vor Jahren vollmundig: „Jeder bekommt eine Vermittlungsgarantie.“ Die Vermittlungsquote ist aber seit Einführung von Hartz IV gesunken! Über sieben Millionen Menschen partizipieren an Hartz IV. Laut Bundesanstalt für Arbeit gibt es in Deutschland 800.000 offene Stellen. Da sieht doch jeder das Scheitern von Hartz IV. Der Landrat hat das eben erwähnt.
Die Stellschrauben bei Hartz IV wurden in den letzten Jahren durch 26 Gesetzesänderungen immer fester angezogen, zum Leidwesen der Betroffenen. Das können sie mir glauben. Wir von der LINKEN begleiten seit Jahren Betroffene bei ihren Ämtergängen und wissen, was wir da an oft beschämendem Umgang miterleben müssen, im Übrigen völlig unabhängig von der Form als ARGE, Optionskommune oder in getrennter Aufgabenwahrnehmung.
Um nicht falsch verstanden zu werden: Es ist für die Betroffenen natürlich leichter, zu einer Stelle statt zu zwei Stellen gehen zu müssen. Deshalb klingt der Antrag von SPD und Grünen ja auf den ersten Blick so interessant.
Genau darum will ich an dieser Stelle endlich einmal die Betroffenen zu Wort kommen lassen. Das war in der ganzen Debatte heute noch nicht der Fall. Und sie wurden ja auch beim aktuellen Kompromiss von Union, FDP und SPD – wie schon bei der Einführung von Hartz IV – überhaupt nicht in die Entscheidungsfindung einbezogen. Das Erwerbslosenforum Deutschlands hat das völlig zu Recht kritisiert. Zu den aktuellen Regelungen will ich deshalb diese Interessenvertretung Erwerbsloser zitieren:
„Hartz IV hat sich in seinem fünfjährigen Bestehen als unfähig erwiesen. Dies betrifft auch die neu geschaffenen Behördenstrukturen. Dies gilt um so schlimmer für die Optionskommunen, die kaum nachweisbare und nachhaltige Vermittlungserfolge aufweisen können. Letztere zeichnen sich jedoch dadurch aus, dass sie in ihren Repressionen sich quasi in einem rechtsfreien Raum bewegen können und Hartz-IV-Bezieher sich nicht auf bundeseinheitliche Rechtsauffassungen verlassen können. Es gab gute Gründe, warum man die Arbeitsvermittlung als Angelegenheit des Bunds haben wollte. Damit nicht kommunale Eigen- oder private Interessen Vorrang haben. Dies sollte bitte auch so bleiben. Der Missbrauch der Ein-Euro-Jobs im kommunalen Bereich wäre kaum möglich gewesen, wenn nicht die Kommunen entweder in allen Bereichen oder als Arbeitsgemeinschaften beteiligt gewesen wären. Wir benötigen keine Grundgesetzänderung, dies kann die Bundesagentur für Arbeit alleine bewältigen. Sofern die Kosten der Unterkunft durch die Interessen der Kommunen betroffen sind, kann dies – ohne Grundgesetzänderung – auf Grundlage qualifizierter Mietspiegel auch vom Bund übernommen werden. Wir wüssten keinen Grund, warum die Betreuung von Erwerbslosen vor Hartz IV durch die Arbeitsagenturen schlechter gewesen sein sollte. Im Gegenteil, durch Hartz IV ist sie für die Betroffenen schlechter geworden, während die Verfolgungsbetreuung mittlerweile unerträglich geworden ist.“
Soweit das Zitat des Erwerbslosenforums Deutschland.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und Grünen hier im Kreistag – aber auch an die Adressen von CDU und FDP,
Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass Sie mit Hilfe von ein paar „kleinen Korrekturen“ an nichts Geringerem als unserem Grundgesetz das von vornherein verfehlte Hartz-IV-Paket über die Runden bringen wollen. Eddie Chambers stand gegen Klitschko auch bis zur letzten Runde – aber in was für einem würdelosen Schauspiel!
Wollen Sie dann die viel zu niedrigen Regelsätze bei Hartz IV auch per Änderung des Grundgesetzes erhalten? Wo soll denn noch überall das Grundgesetz geändert werden, um verfassungswidrige Gesetze für verfassungstreu zu erklären?
Nein, DIE LINKE will Hartz IV nicht erhalten. Wir wollen Hartz IV überwinden.
Darum lehnen wir Ihren Antrag ab.
labudda - 23. Mär, 19:52
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