Sprech-Stunde der anderen Art

[weinheimer Nachrichten vom 02. Juli 2009]

Weinheim. Linda, die Tochter von Dr. Michael Möllers, hatte das Problem in eine Karrikatur gefasst. Auf dem Bild, das der Weinheimer Arzt vor rund 200 Besuchern im Alten Rathaus gestern auf die Leinwand warf, stand ein Feuerwehrmann vor einem brennenden Haus und schaute resigniert auf seinen tröpfelnden Schlauch. Auf dem Knoten, der das Löschwasser zurückhielt, stand: "Budget."

So fühlen sich Allgemeinmediziner, Hausärzte und Fachärzte, wenn sie vor einem kranken Patienten stehen und wegen Budgetierungen und Reglementierungen nicht das Medikament ihrer Wahl verschreiben können. Sie wollen ihrer Ausbildung gemäß dem Patienten dienen, wie Dr. Frank Rommel in einem weiteren Vortrag sagte, doch zwei Drittel ihrer Arbeitszeit geht bereits mit Verwaltungsarbeit drauf, die durchschnittliche Behandlungszeit eines Patienten beträgt nur sieben Minuten, und der durchschnittliche Arbeitstag der Ärzte rund elf Stunden.

Das Ärztenetz "regiomed", zu dem sich Mediziner aus Weinheim und Umgebung zusammengeschlossen haben, will weitere Bürokratisierung und Verschlechterungen für Patienten und Ärzte nicht mehr widerspruchslos hinnehmen. Sein Sprecher Dr. Klaus Dallinger brachte es deshalb bei der Begrüßung "zur Sprech-Stunde der anderen Art" auf den Punkt: Die Krankenkassenbeiträge stiegen in den vergangenen Jahren, die Leistungen für die Patienten sanken trotzdem. Die wohnortnahe Versorgung ist gefährdet, und mit dem geplanten Gesundheitsfonds und der Honorarreform ziehen für die Ärzte neue dunkle Wolken auf.

Politikern auf den Zahn fühlen

Die Zielrichtung wurde in der gut einstündigen Veranstaltung, mit der "regiomed" seinen Ärztestreik am gestrigen Mittwoch und heutigen Donnerstag begleitete, klar: Im Wahlkampf soll Bundestagsabgeordneten und -kandidaten auf den Zahn gefühlt werden. "Fragen Sie bitte die Politiker, wie sie sich künftig die Patientenversorgung vorstellen. Ob sie nur noch in Zentren stattfinden soll und was der Bürger im Krankheitsfall noch an Medikamenten erwarten kann."

Gestern konnten die Fragen an keinen Politiker gestellt werden, denn sie hatten, mit Ausnahme von Carsten Labudda, dem Kandidaten der Partei "Die Linke", keine Zeit. Dafür aber wurden die Ärzte selbst gefragt; beispielsweise ob sie eigentlich noch mit ihrer Interessenvertretung, der Kassenärztlichen Vereinigung, zufrieden sind. Das sind sie nicht, und "regiomed" hat den Vorstand sogar schon zum Rücktritt aufgefordert, aber auf dieses Schreiben keine Antowort erhalten. Schweigen werden sie nicht.

Dr. Tilman Steinhausen ging in einem Referat durch die Geschichte der Gesundheitsreformen, die 1977 mit dem Kostendämpfungsgesetz begann und ab 1993 mit Budgetierungen das Korsett für Arzt und Patient immer enger schnürten. Er zeigte den langen Weg eines Medikaments auf seiner Tour zur Genehmigung durch die Gremien, nannte die 8,3 Milliarden Euro, die jährlich in die Verwaltung der gesetzlichen Krankenkassen fließen. Auch das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) und weitere acht Unterausschüsse sind für die Ärzte Beispiele eines gewaltigen Verwaltungs- und Kontrollapparates, in den Geld fließt, das der direkten Patientenversorgung verloren geht.

"Krankheiten lassen sich nicht planwirtschaftlich behandeln", sagte Dr. Möllers, der nach den neuesten Entwicklungen von einem "Eingriff in das Berufsrecht des Arztes durch die Politik" spricht. Wenn der Arzt bei seinen Verordnungen immer nur auf Budgetierungen und Verordnungen achten muss, ist das Vertrauensverhältnis zwischen ihm und seinem Patienten gestört. Wer sich nicht an Bestimmungen hält, der muss längst mit Regressforderungen rechnen, also mit seinem eigenen Kapital geradestehen.

Ärzte-Notstand droht

Das Problem wirkt in die Zukunft. Spätestens 2015 wird ein Notstand prognostiert, wenn zahlreiche Praxen altersbedingt einen Nachfolger suchen und keinen finden werden. Die Zahl der Studenten geht zurück. Schlimmer noch: Eine Befragung von 4000 Medizinstudenten durch die Uni Bochum ergab, dass sieben von zehn Studenten Deutschland nach dem bestandenen Examen verlassen wollen.

Am Ende stellte "regiomed" noch einmal seine Forderungen: dazu gehören Bürokratieabbau, die unabhängige Entscheidung des Arztes in medizinischen Fragen, das Patientenwohl soll an erster Stelle stehen, das Gesundheitswesen muss transparenter werden, die wohnortnahe Versorgung durch Arztpraxen muss gewährleistet sein, und Ärzte wehren sich dagegen, Erfüllungsgehilfen der Politik zu sein. dra

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