Warum Beck gegen Lafontaine keine Chance hat

[Spiegel Online vom 20. Juni 2007]

Von Franz Walter.

Schlechte Umfragewerte für die SPD? Früher konnten die Sozialdemokraten in solchen Fällen die Gerechtigkeits-Karte spielen. Heute machen die Genossen mit linker Politik keinen Stich mehr - denn die Herzblutthemen der SPD besetzt heute Lafontaine.

Die Sozialdemokraten leiden wieder einmal, an der Großen Koalition, an der schlechten Presse, an den üblen Umfrageergebnissen, die ihnen Woche für Woche der Herr Güllner vom Forsa-Institut nachgerade erbarmungslos präsentiert. Vor allem aber leiden die Genossen an sich selbst. Die Probleme sind in der Tat Legion: Die frühere Massenpartei, deren Stolz die Riesenbataillone an treuen Mitgliedern und unermüdlichen Aktivisten waren, ist mittlerweile auf die Größe der christdemokratischen Honoratiorenorganisation geschrumpft. Irgendwann in den nächsten Monaten wird gar sicher die Schlagzeile kommen: "CDU nun mitgliederstärker als die SPD". Ein Menetekel für die Partei Bebels und Brandts.

Auf dem Gebiet der alten Bundesrepublik stellt die SPD bekanntlich nur noch in einem Flächenland den Ministerpräsidenten. In den prosperierenden modernen Regionen der Republik, von Dresden bis Stuttgart, stecken Sozialdemokraten in einer nahezu hoffnungslosen Diasporasituation fest. Die strukturelle und auch historisch bedingte Unterlegenheit im Süden Deutschlands konnte die SPD in den zurückliegenden Jahrzehnten noch zwischen Rhein und Ruhr kompensieren, auch in Hessen oder Niedersachsen oder Hamburg. Passé das alles.

Schreibt man über die SPD, dann verfasst man also eine Geschichte des Verlustes. Verflüchtigt haben sich nicht nur die Mitgliedermassen und der kampagnenkräftige Funktionärskörper. Verschwunden sind ebenfalls die gerade im klassischen Sozialismus so zahlreichen, oft gewiss exzentrischen, aber doch immer farbigen Intellektuellen und Vordenker. Ferdinand Lassalle, Eduard Bernstein, Rosa Luxemburg, Paul Levi, Rudolf Hilferding, Alexander Schifrin - man könnte beliebig noch fünfzig andere Namen von originellen theoretischen Köpfen aus der Historie des demokratischen Sozialismus aufzählen. Wiederum: Passé das alles.

Und radikal entkoppelt haben sich inzwischen die Lebenswelten von Sozialdemokraten und Gewerkschaftern. Beide Sphären haben lange eine Synthese gebildet, in der sich Betriebserfahrungen und politische Fertigkeiten verknüpften. Doch heute gehört kein Gewerkschaftsführer mehr der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion an; der lokale Betriebsrat ist nicht mehr zugleich stellvertretender Ortsvereinsvorsitzender und Mitglied der Stadtratsfraktion der SPD. Spannungen hat es zwischen Gewerkschaften und Sozialdemokraten historisch immer wieder gegeben. Aber die heillose Entfremdung, wie sie sich seit 1999 entwickelt hat, ist geschichtlich neu - zumal ein gewichtiger Teil des Mittelbaus in der IG Metall oder bei Ver.di der SPD wohl nicht nur kurzfristig den Rücken gekehrt hat. Was einst sicheres Vorfeld der Sozialdemokraten war, scheint zum Rekrutierungsfeld und Kaderschmiede der "Linken" zu werden. Jedenfalls: Über hundert Jahre waren die Gewerkschaften eine tragende Säule der Sozialdemokratie. Auch hier: Passé das alles.

In früheren Jahrzehnten agierten die Sozialdemokraten häufig ungeschickt. Ihre überdrehten Flügelstreitigkeiten nervten oft. Ihr Mangel an machtpolitischer Raffinesse wirkte zuweilen erbarmungswürdig. Und doch umwehte diese über ein Jahrhundert hinweg notorische Oppositionspartei eine durchaus anrührende Aura: Partei der Nichtprivilegierten zu sein, die für die Emanzipation und Würde der unteren Schichten eintrat. Passé, auch dies

Man nahm diese Aura der SPD einst ab, weil ihre Mitglieder, Funktionäre und Parlamentarier selbst aus den niederen Klassen kamen und politisch nicht zum Establishment gehörten. Doch das hat sich gründlich geändert; und eben dies markiert den entscheidenden Einschnitt in der sozialdemokratischen Geschichte. Mindestens in ihrem Funktionärs- und Mandatsbereich ist die Sozialdemokratie die Partei der Aufstiegsgewinner. Die programmatischen Losungen der Sozialdemokraten des Jahres 2007 - Bildung, lebenslanges Lernen, Chancen, Leistung - spiegeln die Lektion aus den erfolgreichen Biographien sozialdemokratischer Aufsteiger der bundesdeutschen Wohlfahrtsstaatsära. Aber sie haben mit den neuen Erlebnissen des Scheiterns, der Demütigung durch Bildungsversagen in den mehrfach gebrochenen Lebenszusammenhängen des unteren gesellschaftlichen Drittels nichts zu tun. Diese beiden Welten sind einander gänzlich fremd.

Und in der von den Sozialdemokraten verlassenen Welt tummelt sich nun die Linke mit Oskar Lafontaine. In der Linken hält der Saarländer das Zepter fest in der Hand - ganz ähnlich wie 1997, als er die Sozialdemokraten mit harter Hand anführte und sie auf diese Weise zielstrebig wie energisch in die Regierung zog. Der Oskar Lafontaine des Jahres 2007 operiert und argumentiert dabei ganz weitgehend so wie der Oskar Lafontaine des Jahres 1997. Eben das ist das Problem der Sozialdemokraten heute: Mit jedem ihrer Vorwürfe - die Linke agiere populistisch, sei demagogisch, verfolge illusionäre Ziele - denunziert sie sich gewissermaßen selbst, zumindest die eigene, noch nahe Vergangenheit, ihre ureigenen politischen Losungen, dank derer sie 1998 den Sprung ins Kabinett schaffte.

Die Sozialdemokraten stecken dadurch wirklich im Schlamassel. Als Partei an der Macht haben sie in den Kernjahren der Legislaturperioden häufig genug anders regiert als programmatisch zuvor versprochen. Doch konnten sie dann in den Wahlkampfmonaten die soziale Karte trotzdem verlässlich und erstaunlich herausholen und die drohende Gefahr des kalten Neoliberalismus beschwören, um die zuvor noch frustrierten, zuweilen schon durch Wahlenthaltung abtrünnigen Anhänger wieder einigermaßen hinter sich zu scharen.

Indes: Dieses Spielchen dürfte künftig kaum noch gelingen. Denn nun ist da jemand in der Parteilandschaft, der diese Aufführung auch und gar noch ein bisschen besser beherrscht, der rhetorisch immer noch ein Stückchen sozialer auftrumpfen kann, der agitatorisch ungleich rigider die soziale Gerechtigkeit postulieren und die Machenschaften der "Heuschrecken" unter Beschuss nehmen wird.

Kurzum: Kurt Beck gegen Oskar Lafontaine. Armer Beck, arme SPD.

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