»Wir sind die Partei des neuen Optimismus«
[junge welt vom 13. Januar 2007]
Gespräch mit Tiny Kox. Über sozialistische Praxis und das Problem, sie im real existierenden Kapitalismus durchzusetzen sowie die unabdingbaren Voraussetzungen für Linke, in einer Regierung mitzuarbeiten. Interview: Wolfgang Pomrehn.
Tiny Kox ist Fraktionsvorsitzender der Sozialistischen Partei der Niederlande in der »Eerste Kamer« (Erste Kammer oder Senat).
Der sensationelle Wahlerfolg der Sozialistischen Partei der Niederlande am 22. November hat in Deutschland erstmals eine breitere linke Öffentlichkeit auf diese ungewöhnliche Partei aufmerksam gemacht. Mancher ist begeistert über die knapp 17 Prozent, die Sie bei den Parlamentswahlen erzielt haben, andere beginnen, nach dem Haar in der Suppe zu suchen. Wie links ist die SP?
Wir sind eine sozialistische Partei, wobei unser Sozialismus vor allem durch drei Dinge gekennzeichnet ist: Menschenwürde, Gleichwertigkeit und Solidarität. Das ist unsere Definition von Sozialismus, die wir Anfang der 1990er Jahre im Manifest »Der ganze Mensch« entwickelt haben. Für uns ist das nicht bloße Theorie, sondern auch Praxis, und es gibt in den Niederlanden genügend Menschen, denen das links genug ist. Wir denken nicht, daß irgend jemand auf der Welt messen kann, ob eine Partei sozialistisch oder links genug ist, oder vielleicht zu links. Das ist alles Theorie, wir sind jedoch eine Partei der Praxis.
Welche Art Wirtschaftssystem strebt die SP an?
Das ist auch so eine der Fragen, die wir ein wenig altmodisch finden. Wir wollen ein Gesellschafts- und Wirtschaftssystem, in dem die drei genannten Begriffe dominant sind. Im heutigen Kapitalismus, mit dem vorherrschenden Neoliberalismus, kann davon nicht die Rede sein.
Sie definieren Ihr Ziel also vor allem über die Ethik. Für Marxisten stand bisher vor allem die Frage nach den Eigentumsformen im Mittelpunkt.
Wir sind eine sozialistische Partei, keine marxistische. Für manche unserer Mitglieder ist Marx sicherlich eine Quelle der Inspiration, für viele andere nur ein deutscher Fußballspieler oder eine amerikanische Komikerfamilie. Ansonsten denken wir, daß weniger die Eigentums- als vielmehr die Machtverhältnisse in Wirtschaft und Gesellschaft wichtig sind. Unser Manifest betont, daß die Demokratie nicht am Werkstor haltmachen darf. Auch in der Wirtschaft muß die Demokratie letzten Endes der bestimmende Faktor sein.
Was heißt das in der Praxis? Ein bißchen mehr Mitbestimmung, oder tatsächliche Kontrolle der Arbeiter über die Produktion?
Dafür haben wir keine Blaupause, keine konkrete Formen, keine bis in die Details ausgearbeiteten Plan. Wir sehen nur, daß derzeit die Wirtschaft nicht demokratisch organisiert ist. Wie das geändert werden kann und welche anderen Formen es schließlich annimmt, ist eine Frage des demokratischen Prozesses. Grundsätzlich geht es um mehr Einfluß für die Arbeiter, um mehr Einfluß für die Konsumenten und um weniger Einfluß für die Aktienbesitzer. Derzeit werden die Aktivitäten der Unternehmen allein durch das Streben nach Gewinn bestimmt. Das lehnen wir ab.
Das heißt, die SP reiht sich ein in die weltweite Bewegung gegen den Neoliberalismus? Zählt sie sich zu den Globalisierungskritikern?
Das kann man nicht so allgemein sagen. Welche Globalisierung? Die Welt wird immer kleiner und komplexer. Wir sind alle Weltbürger und haben miteinander zu tun. Das kann durchaus positiv sein. Zusammen können wir mehr erreichen, das ist eine wichtige sozialistische Idee. Sozialisten sind auch immer Internationalisten. Aber nicht alles, was international, was »global« ist, ist positiv. Auf jeden Fall wird der Neoliberalismus von uns kritisiert, weil er den Menschen nur als Homo oeconomicus und nicht als Homo universalis sieht. Die neoliberale Globalisierung hat sehr viele negative Folgen, vor allem für die Armen in aller Welt. Auch in den reichen Ländern bezahlt der ärmere Teil der Menschen für diese Art von Globalisierung. In den Niederlanden wachsen ebenfalls Reichtum, Armut und Ungleichheit gleichzeitig. Dieses neoliberale Modell mag in den 1980er und 1990er Jahren noch für manche eine gewisse Attraktivität gehabt haben. Das lag an den wachsenden Problemen, die der Versorgungsstaat der Nachkriegszeit mit sich brachte. Aber heute überwiegen auf jeden Fall die negativen Aspekte. Darum kritisieren wir Neoliberalismus und die neoliberale Globalisierung. Schon 1995 stellte der ehemalige Führer der niederländischen Liberalen und spätere Eurokommissar Frits Bolkestein fest, daß »alle niederländischen Parteien, außer der SP, liberal geworden sind«.
Ist die SP eigentlich Mitglied der Europäischen Linkspartei?
Nein. Wir sind für Zusammenarbeit linker Parteien, auch in Europa. Aber das Konzept ist uns bis jetzt noch zu theoretisch, und der Schritt verfrüht. Das Vorgehen ist ein bißchen altlinks: Wenn man im eigenen Lande klein ist, dann vereinigt man sich auf der europäischen Ebene und fühlt sich groß. Wir sind eher dafür, daß man erst etwas zu Hause aufbaut und dann festere Formen der Zusammenarbeit auf der europäischen Ebene sucht. Aber unsere Abgeordneten im EU-Parlament und in der Versammlung des Europarates arbeiten natürlich mit den Abgeordneten anderer Linksparteien zusammen. Im Januar hatten wir eine Delegation der deutschen Linkspartei zu Gast, und im Februar kommt der Vorsitzende der Linkspartei.PDS, Lothar Bisky. Außerdem übersetzen wir alle politisch wichtigen Erklärungen ins Englische und stellen sie auf unsere Webseite. Das sollten alle linken Parteien Europas machen, so daß wir mehr und einfacher voneinander lernen können.
Die SP war in den Niederlanden einer der entschiedensten Kritiker des EU-Verfassungsvertrages und maßgeblich an der letztendlich erfolgreichen Ablehnungskampagne beteiligt. Wie kann es nun mit der EU weitergehen? Welche Alternativen hat die Linke zu bieten?
Natürlich brauchen wir eine europäische Zusammenarbeit. Nur geht diese derzeit in eine neoliberale Richtung, die den europäischen Bürgern wenig nützt. Uns ging es vor allem darum, zunächst einmal diese Verfassung abzulehnen, denn es ist eine schlechte. Unter anderem, weil sie das neoliberale Wirtschaftssystem festschreibt. Derlei gibt es nur in sehr wenigen Ländern. Damals in der Sowjetunion, heutzutage wahrscheinlich nur noch auf Kuba. Wir sind der Ansicht, daß das eine wesentliche Frage ist, die nur die Bürger entscheiden können – und keine EU-Verfassung.
Die Kritik am unsozialen Projekt EU ist das eine, das andere die Haltung zur EU. Die Rot-Grüne Einheitsliste in Dänemark zum Beispiel lehnt wie viele skandinavische Linke die EU-Mitgliedschaft rundweg ab. Sie fordert statt dessen eine gleichberechtigte Zusammenarbeit souveräner Staaten. In Deutschland ist die Linkspartei.PDS hingegen der EU gegenüber sehr aufgeschlossen.
Man sollte das pragmatisch sehen. Die europäische Kooperation war, ist und bleibt notwendig und hat auch manche positiven Folgen gehabt. Krieg durch wirtschaftliche Zusammenarbeit zu verhindern war und bleibt ein guter Gedanke. Es gibt Dinge, die wir gemeinsam besser machen können, und dagegen kann man schlecht sein. Unsere Partei ist daher auch nicht gegen die EU, sondern gegen die Richtung, in die sie sich entwickelt. In allen Ländern der Union gibt es ein großes Mißtrauen in der Bevölkerung gegen das neoliberale Projekt. Und zwar zu Recht. Diese Stimmung ist ein Zeichen dafür, daß etwas grundsätzlich falsch läuft.
Wir brauchen also eine Zusammenarbeit, aber nicht auf dieser Grundlage. Voraussetzung muß sein, daß alle von der Kooperation profitieren und nicht nur die Großen. Nach dem Zweiten Weltkrieg hat das mehr oder weniger funktioniert. Aber seit dem Maastrichter Vertrag ist in der EU der Neoliberalismus sehr dominant geworden. Um nochmals Bolkestein zu zitieren: »Europa soll liberal sein oder nicht sein«. Wir meinen dagegen: »Die Europäische Union soll sozial und demokratisch sein – oder nicht sein«.
Hierzulande träumen einige führende Politiker der Linkspartei.PDS, wie etwa Gregor Gysi, davon, man könne die EU als ein Gegengewicht zu den USA entwickeln.
Ich kenne Gysis Träume nicht – ich kenne ihn als vernünftigen Politiker, keinen Träumer. Aber ich glaube nicht, daß die Antwort auf die Dominanz der USA der Ausbau der EU zu einer zweiten Weltmacht ist. Die US-amerikanische Vorherrschaft muß beendet werden, aber nicht dadurch, daß andere Staaten ihre Rolle übernehmen. Wir lehnen die Militarisierung des EU deswegen ab. Genauso ist die Alternative zur NATO nicht eine europäische NATO ohne die USA.
Unsere Alternative ist der konsequente Abbau der militärischen Mittel und der Aufbau globaler militärischer Zusammenarbeit zum Schutz des internationalen Rechts und der Menschenrechte. Die Vereinten Nationen sollten dabei eine große Rolle spielen. Im Gegensatz dazu entwickelt sich die NATO, dominiert von den USA, immer mehr zu einem weltweiten militärischen Bündnis, das weit außerhalb eines eigentlichen Territoriums militärisch interveniert. Dafür gibt es keine Legitimation.
Bei GroenLinks, den niederländischen Grünen, wirft man Ihnen vor, daß Sie prinzipiell gegen militärische Interventionen seien. Stimmt das?
Wir sind nicht aus Prinzip gegen Interventionen. Manchmal können sie notwendig sein, zum Beispiel, um den Zweiten Weltkrieg zu beenden. Aber wir sind gegen militärische Interventionen ohne Legitimität und Proportionalität, ohne klares Ziel, Terminplan und Exitstrategie, wie im Irak, in Afghanistan oder im Krieg gegen Serbien. In anderen Fällen, wenn es nicht um »peace enforcing«, sondern um »peace keeping« geht, wie etwa beim Einsatz in Bosnien, oder den Operationen auf Zypern, in Liberia und im Libanon, haben wir im Parlament zugestimmt. Voraussetzung für uns ist, daß der Einsatz wirklich dem Frieden dient. Und die Realität zeigt, daß es sehr wenig erfolgreiche militärische Interventionen gibt. In der internationalen Politik sind Vorsicht und Bescheidenheit sehr wichtige Dinge.
Die SP ist bisher eine Partei der Aktion gewesen, die von der Basis her aufgebaut wurde. Gibt es eigentlich nach dem Wahlerfolg einen großen Zustrom neuer Mitglieder?
Diesen Zustrom gibt es schon seit längerem. 2006 sind wir um 5000 Mitglieder auf jetzt über 50000 gewachsen. Damit sind wir hinter den Christdemokraten (CDA) und den Sozialdemokraten (PvdA) die drittgrößte Partei, und es wird nicht mehr sehr lange dauern, bis wir die beiden eingeholt haben. Auch im Parlament sind wir die dritte Kraft. Eines unserer Geheimnisse ist, daß wir unseren Mitgliedern erklären können, was wir innerhalb und außerhalb des Parlaments machen. Und sie wissen, daß es auf sie ankommt, um unsere Partei, unsere politischen Ideen, unsere Gesellschaftskritik, unsere konkreten Vorschläge mit den Bürgern zu besprechen. Politik wird nicht nur im Parlament, sondern vor allem auch auf der Straße, in den Betrieben und in den Gemeinden gemacht. Sie findet nicht nur am Wahltag statt, sondern auch wenn Menschen für anständige Arbeit und ehrlichen Lohn streiten, für gute Bildung und garantierte Gesundheitsversorgung, oder ihre Wohnungen, ihr Viertel und ihre Umwelt verteidigen. Die SP ist in solchen Fällen immer praktisch solidarisch, und wir sind sicherlich die aktivste politische Partei der Niederlande.
Nun hat SP-Vorsitzender Jan Marijnissen gesagt, daß Ihre Partei natürlich zu einer Koalition bereit wäre. Hätten Sie keine Angst, zu viele Kompromisse machen zu müssen, mit denen Sie die Mitglieder vor den Kopf stoßen würden?
Nein, wir fürchten nichts, wir sind Sozialisten. Im Ernst: Wenn man konkrete Politik macht, muß man sich immer auf Kompromisse einlassen. Wichtig ist, daß das Resultat stimmt. Wenn wir in einer Koalition einen größeren Teil unseres Programms umsetzen können, dann werden unsere Wähler sehr zufrieden sein. Und wenn wir Kompromisse machen, die nichts mit unserem Programm zu tun haben, dann werden sie uns sicherlich bestrafen. Aber natürlich wäre eine Koalition mit der CDA aufgrund ihrer unsozialen Politik sehr schwierig. Natürlich werden wir uns nicht an einer Regierung beteiligen, die die bisherige neoliberale und unsoziale Politik fortsetzt.
Das heißt, eine Koalition, an der Sie sich beteiligen würden, ist im Augenblick ausgeschlossen?
Nein. Es muß sich etwas bewegen. Wir sind die großen Gewinner der Wahl, also müßte die CDA auf uns zukommen, um eine Zusammenarbeit praktisch möglich zu machen. Wir haben den Wählern versprochen: Mit uns wird es sozialer statt liberaler in unserm Land. Das geht CDA-Ministerpräsident Balkenende zu weit. Er möchte seine Politik der vergangenen vier Jahre so weit wie möglich fortsetzen. Zur Zeit verhandelt er darüber mit der PvdA und einer kleinen christlichen Partei, der ChristenUnie. Das ist natürlich das gute Recht dieser Parteien, aber nicht ganz das, was die Wähler im November klargemacht haben. Vielleicht wird es trotzdem eine neue Balkenende-Regierung geben. Aber wenn es nicht funktioniert, müssen sich Sozial- und Christdemokraten wieder mit uns unterhalten.
Gibt es Mindestanforderungen, die erfüllt sein müssen, bevor sich die SP an einer Regierung beteiligt?
Wir haben in den Niederlanden eine lange Geschichte von Koalitionen. Das funktioniert so nicht, daß man vorab Ultimaten setzt. Man verhandelt miteinander und schaut, was herauskommt. Entweder es geht, oder es geht nicht. Man muß wissen, daß die Christdemokraten eine sehr vielschichtige Partei sind. Die eigentlichen Neoliberalen sind die Rechtsliberalen von der VVD, mit der die CDA zuletzt regiert hat. Davor hat die CDA lange Zeit gemeinsam mit den Sozialdemokraten regiert, oder sie saß mit uns zusammen in der Opposition, als Liberale und Sozialdemokraten regierten. Einige ihrer Mitglieder haben sogar ein starkes Interesse an unserer Partei. In der letzten Wahl konnten wir einen ziemlich großen Anteil ehemaliger CDA-Wähler gewinnen. Die Christdemokraten können sich in verschiedene Richtungen entwickeln. Sie müssen sich jetzt entscheiden.
Was macht die SP mit dieser politischen Situation?
Es ist noch keine neue Regierung gebildet worden, aber das neue Parlament ist schon zusammengetreten. Es gibt eine kleine, mehr oder weniger linke Mehrheit aus GroenLinks, SP, Linksliberalen, Tierschutzpartei, Sozialdemokraten und ChristenUnie, die schon einige interessante Dinge durchgesetzt hat. Zum Beispiel wurde ein Anfang gemacht mit einem Bleiberecht für abgelehnte Asylbewerber, die vor 2001 eingereist sind. Wir haben außerdem etwas für den Tierschutz erreicht und noch einige andere kleine, aber wichtige Dinge. Und nun werden wir sehen, was die Koalitionsgespräche ergeben. Wenn wir mit ihnen nicht zufrieden sind, werden wir eben die größte Oppositionspartei sein. Das ist auch eine interessante Sache.
Ansonsten bereiten wir uns schon auf die nächsten Wahlen vor. Im März werden die Provinzparlamente und der Senat gewählt, der ein bißchen mit dem Bundesrat in Deutschland verglichen werden kann. Der Senat muß allen Gesetzen zustimmen, deshalb ist es wichtig, daß wir auch dort stärker werden. Das nützt uns immer, ob wir in der Koalition oder in der Opposition sind. Nochmals: Wir fürchten nichts, wir trauen uns alles. Deswegen nennen wir uns auch gerne die Partei des neuen Optimismus.
Gespräch mit Tiny Kox. Über sozialistische Praxis und das Problem, sie im real existierenden Kapitalismus durchzusetzen sowie die unabdingbaren Voraussetzungen für Linke, in einer Regierung mitzuarbeiten. Interview: Wolfgang Pomrehn.
Tiny Kox ist Fraktionsvorsitzender der Sozialistischen Partei der Niederlande in der »Eerste Kamer« (Erste Kammer oder Senat).
Der sensationelle Wahlerfolg der Sozialistischen Partei der Niederlande am 22. November hat in Deutschland erstmals eine breitere linke Öffentlichkeit auf diese ungewöhnliche Partei aufmerksam gemacht. Mancher ist begeistert über die knapp 17 Prozent, die Sie bei den Parlamentswahlen erzielt haben, andere beginnen, nach dem Haar in der Suppe zu suchen. Wie links ist die SP?
Wir sind eine sozialistische Partei, wobei unser Sozialismus vor allem durch drei Dinge gekennzeichnet ist: Menschenwürde, Gleichwertigkeit und Solidarität. Das ist unsere Definition von Sozialismus, die wir Anfang der 1990er Jahre im Manifest »Der ganze Mensch« entwickelt haben. Für uns ist das nicht bloße Theorie, sondern auch Praxis, und es gibt in den Niederlanden genügend Menschen, denen das links genug ist. Wir denken nicht, daß irgend jemand auf der Welt messen kann, ob eine Partei sozialistisch oder links genug ist, oder vielleicht zu links. Das ist alles Theorie, wir sind jedoch eine Partei der Praxis.
Welche Art Wirtschaftssystem strebt die SP an?
Das ist auch so eine der Fragen, die wir ein wenig altmodisch finden. Wir wollen ein Gesellschafts- und Wirtschaftssystem, in dem die drei genannten Begriffe dominant sind. Im heutigen Kapitalismus, mit dem vorherrschenden Neoliberalismus, kann davon nicht die Rede sein.
Sie definieren Ihr Ziel also vor allem über die Ethik. Für Marxisten stand bisher vor allem die Frage nach den Eigentumsformen im Mittelpunkt.
Wir sind eine sozialistische Partei, keine marxistische. Für manche unserer Mitglieder ist Marx sicherlich eine Quelle der Inspiration, für viele andere nur ein deutscher Fußballspieler oder eine amerikanische Komikerfamilie. Ansonsten denken wir, daß weniger die Eigentums- als vielmehr die Machtverhältnisse in Wirtschaft und Gesellschaft wichtig sind. Unser Manifest betont, daß die Demokratie nicht am Werkstor haltmachen darf. Auch in der Wirtschaft muß die Demokratie letzten Endes der bestimmende Faktor sein.
Was heißt das in der Praxis? Ein bißchen mehr Mitbestimmung, oder tatsächliche Kontrolle der Arbeiter über die Produktion?
Dafür haben wir keine Blaupause, keine konkrete Formen, keine bis in die Details ausgearbeiteten Plan. Wir sehen nur, daß derzeit die Wirtschaft nicht demokratisch organisiert ist. Wie das geändert werden kann und welche anderen Formen es schließlich annimmt, ist eine Frage des demokratischen Prozesses. Grundsätzlich geht es um mehr Einfluß für die Arbeiter, um mehr Einfluß für die Konsumenten und um weniger Einfluß für die Aktienbesitzer. Derzeit werden die Aktivitäten der Unternehmen allein durch das Streben nach Gewinn bestimmt. Das lehnen wir ab.
Das heißt, die SP reiht sich ein in die weltweite Bewegung gegen den Neoliberalismus? Zählt sie sich zu den Globalisierungskritikern?
Das kann man nicht so allgemein sagen. Welche Globalisierung? Die Welt wird immer kleiner und komplexer. Wir sind alle Weltbürger und haben miteinander zu tun. Das kann durchaus positiv sein. Zusammen können wir mehr erreichen, das ist eine wichtige sozialistische Idee. Sozialisten sind auch immer Internationalisten. Aber nicht alles, was international, was »global« ist, ist positiv. Auf jeden Fall wird der Neoliberalismus von uns kritisiert, weil er den Menschen nur als Homo oeconomicus und nicht als Homo universalis sieht. Die neoliberale Globalisierung hat sehr viele negative Folgen, vor allem für die Armen in aller Welt. Auch in den reichen Ländern bezahlt der ärmere Teil der Menschen für diese Art von Globalisierung. In den Niederlanden wachsen ebenfalls Reichtum, Armut und Ungleichheit gleichzeitig. Dieses neoliberale Modell mag in den 1980er und 1990er Jahren noch für manche eine gewisse Attraktivität gehabt haben. Das lag an den wachsenden Problemen, die der Versorgungsstaat der Nachkriegszeit mit sich brachte. Aber heute überwiegen auf jeden Fall die negativen Aspekte. Darum kritisieren wir Neoliberalismus und die neoliberale Globalisierung. Schon 1995 stellte der ehemalige Führer der niederländischen Liberalen und spätere Eurokommissar Frits Bolkestein fest, daß »alle niederländischen Parteien, außer der SP, liberal geworden sind«.
Ist die SP eigentlich Mitglied der Europäischen Linkspartei?
Nein. Wir sind für Zusammenarbeit linker Parteien, auch in Europa. Aber das Konzept ist uns bis jetzt noch zu theoretisch, und der Schritt verfrüht. Das Vorgehen ist ein bißchen altlinks: Wenn man im eigenen Lande klein ist, dann vereinigt man sich auf der europäischen Ebene und fühlt sich groß. Wir sind eher dafür, daß man erst etwas zu Hause aufbaut und dann festere Formen der Zusammenarbeit auf der europäischen Ebene sucht. Aber unsere Abgeordneten im EU-Parlament und in der Versammlung des Europarates arbeiten natürlich mit den Abgeordneten anderer Linksparteien zusammen. Im Januar hatten wir eine Delegation der deutschen Linkspartei zu Gast, und im Februar kommt der Vorsitzende der Linkspartei.PDS, Lothar Bisky. Außerdem übersetzen wir alle politisch wichtigen Erklärungen ins Englische und stellen sie auf unsere Webseite. Das sollten alle linken Parteien Europas machen, so daß wir mehr und einfacher voneinander lernen können.
Die SP war in den Niederlanden einer der entschiedensten Kritiker des EU-Verfassungsvertrages und maßgeblich an der letztendlich erfolgreichen Ablehnungskampagne beteiligt. Wie kann es nun mit der EU weitergehen? Welche Alternativen hat die Linke zu bieten?
Natürlich brauchen wir eine europäische Zusammenarbeit. Nur geht diese derzeit in eine neoliberale Richtung, die den europäischen Bürgern wenig nützt. Uns ging es vor allem darum, zunächst einmal diese Verfassung abzulehnen, denn es ist eine schlechte. Unter anderem, weil sie das neoliberale Wirtschaftssystem festschreibt. Derlei gibt es nur in sehr wenigen Ländern. Damals in der Sowjetunion, heutzutage wahrscheinlich nur noch auf Kuba. Wir sind der Ansicht, daß das eine wesentliche Frage ist, die nur die Bürger entscheiden können – und keine EU-Verfassung.
Die Kritik am unsozialen Projekt EU ist das eine, das andere die Haltung zur EU. Die Rot-Grüne Einheitsliste in Dänemark zum Beispiel lehnt wie viele skandinavische Linke die EU-Mitgliedschaft rundweg ab. Sie fordert statt dessen eine gleichberechtigte Zusammenarbeit souveräner Staaten. In Deutschland ist die Linkspartei.PDS hingegen der EU gegenüber sehr aufgeschlossen.
Man sollte das pragmatisch sehen. Die europäische Kooperation war, ist und bleibt notwendig und hat auch manche positiven Folgen gehabt. Krieg durch wirtschaftliche Zusammenarbeit zu verhindern war und bleibt ein guter Gedanke. Es gibt Dinge, die wir gemeinsam besser machen können, und dagegen kann man schlecht sein. Unsere Partei ist daher auch nicht gegen die EU, sondern gegen die Richtung, in die sie sich entwickelt. In allen Ländern der Union gibt es ein großes Mißtrauen in der Bevölkerung gegen das neoliberale Projekt. Und zwar zu Recht. Diese Stimmung ist ein Zeichen dafür, daß etwas grundsätzlich falsch läuft.
Wir brauchen also eine Zusammenarbeit, aber nicht auf dieser Grundlage. Voraussetzung muß sein, daß alle von der Kooperation profitieren und nicht nur die Großen. Nach dem Zweiten Weltkrieg hat das mehr oder weniger funktioniert. Aber seit dem Maastrichter Vertrag ist in der EU der Neoliberalismus sehr dominant geworden. Um nochmals Bolkestein zu zitieren: »Europa soll liberal sein oder nicht sein«. Wir meinen dagegen: »Die Europäische Union soll sozial und demokratisch sein – oder nicht sein«.
Hierzulande träumen einige führende Politiker der Linkspartei.PDS, wie etwa Gregor Gysi, davon, man könne die EU als ein Gegengewicht zu den USA entwickeln.
Ich kenne Gysis Träume nicht – ich kenne ihn als vernünftigen Politiker, keinen Träumer. Aber ich glaube nicht, daß die Antwort auf die Dominanz der USA der Ausbau der EU zu einer zweiten Weltmacht ist. Die US-amerikanische Vorherrschaft muß beendet werden, aber nicht dadurch, daß andere Staaten ihre Rolle übernehmen. Wir lehnen die Militarisierung des EU deswegen ab. Genauso ist die Alternative zur NATO nicht eine europäische NATO ohne die USA.
Unsere Alternative ist der konsequente Abbau der militärischen Mittel und der Aufbau globaler militärischer Zusammenarbeit zum Schutz des internationalen Rechts und der Menschenrechte. Die Vereinten Nationen sollten dabei eine große Rolle spielen. Im Gegensatz dazu entwickelt sich die NATO, dominiert von den USA, immer mehr zu einem weltweiten militärischen Bündnis, das weit außerhalb eines eigentlichen Territoriums militärisch interveniert. Dafür gibt es keine Legitimation.
Bei GroenLinks, den niederländischen Grünen, wirft man Ihnen vor, daß Sie prinzipiell gegen militärische Interventionen seien. Stimmt das?
Wir sind nicht aus Prinzip gegen Interventionen. Manchmal können sie notwendig sein, zum Beispiel, um den Zweiten Weltkrieg zu beenden. Aber wir sind gegen militärische Interventionen ohne Legitimität und Proportionalität, ohne klares Ziel, Terminplan und Exitstrategie, wie im Irak, in Afghanistan oder im Krieg gegen Serbien. In anderen Fällen, wenn es nicht um »peace enforcing«, sondern um »peace keeping« geht, wie etwa beim Einsatz in Bosnien, oder den Operationen auf Zypern, in Liberia und im Libanon, haben wir im Parlament zugestimmt. Voraussetzung für uns ist, daß der Einsatz wirklich dem Frieden dient. Und die Realität zeigt, daß es sehr wenig erfolgreiche militärische Interventionen gibt. In der internationalen Politik sind Vorsicht und Bescheidenheit sehr wichtige Dinge.
Die SP ist bisher eine Partei der Aktion gewesen, die von der Basis her aufgebaut wurde. Gibt es eigentlich nach dem Wahlerfolg einen großen Zustrom neuer Mitglieder?
Diesen Zustrom gibt es schon seit längerem. 2006 sind wir um 5000 Mitglieder auf jetzt über 50000 gewachsen. Damit sind wir hinter den Christdemokraten (CDA) und den Sozialdemokraten (PvdA) die drittgrößte Partei, und es wird nicht mehr sehr lange dauern, bis wir die beiden eingeholt haben. Auch im Parlament sind wir die dritte Kraft. Eines unserer Geheimnisse ist, daß wir unseren Mitgliedern erklären können, was wir innerhalb und außerhalb des Parlaments machen. Und sie wissen, daß es auf sie ankommt, um unsere Partei, unsere politischen Ideen, unsere Gesellschaftskritik, unsere konkreten Vorschläge mit den Bürgern zu besprechen. Politik wird nicht nur im Parlament, sondern vor allem auch auf der Straße, in den Betrieben und in den Gemeinden gemacht. Sie findet nicht nur am Wahltag statt, sondern auch wenn Menschen für anständige Arbeit und ehrlichen Lohn streiten, für gute Bildung und garantierte Gesundheitsversorgung, oder ihre Wohnungen, ihr Viertel und ihre Umwelt verteidigen. Die SP ist in solchen Fällen immer praktisch solidarisch, und wir sind sicherlich die aktivste politische Partei der Niederlande.
Nun hat SP-Vorsitzender Jan Marijnissen gesagt, daß Ihre Partei natürlich zu einer Koalition bereit wäre. Hätten Sie keine Angst, zu viele Kompromisse machen zu müssen, mit denen Sie die Mitglieder vor den Kopf stoßen würden?
Nein, wir fürchten nichts, wir sind Sozialisten. Im Ernst: Wenn man konkrete Politik macht, muß man sich immer auf Kompromisse einlassen. Wichtig ist, daß das Resultat stimmt. Wenn wir in einer Koalition einen größeren Teil unseres Programms umsetzen können, dann werden unsere Wähler sehr zufrieden sein. Und wenn wir Kompromisse machen, die nichts mit unserem Programm zu tun haben, dann werden sie uns sicherlich bestrafen. Aber natürlich wäre eine Koalition mit der CDA aufgrund ihrer unsozialen Politik sehr schwierig. Natürlich werden wir uns nicht an einer Regierung beteiligen, die die bisherige neoliberale und unsoziale Politik fortsetzt.
Das heißt, eine Koalition, an der Sie sich beteiligen würden, ist im Augenblick ausgeschlossen?
Nein. Es muß sich etwas bewegen. Wir sind die großen Gewinner der Wahl, also müßte die CDA auf uns zukommen, um eine Zusammenarbeit praktisch möglich zu machen. Wir haben den Wählern versprochen: Mit uns wird es sozialer statt liberaler in unserm Land. Das geht CDA-Ministerpräsident Balkenende zu weit. Er möchte seine Politik der vergangenen vier Jahre so weit wie möglich fortsetzen. Zur Zeit verhandelt er darüber mit der PvdA und einer kleinen christlichen Partei, der ChristenUnie. Das ist natürlich das gute Recht dieser Parteien, aber nicht ganz das, was die Wähler im November klargemacht haben. Vielleicht wird es trotzdem eine neue Balkenende-Regierung geben. Aber wenn es nicht funktioniert, müssen sich Sozial- und Christdemokraten wieder mit uns unterhalten.
Gibt es Mindestanforderungen, die erfüllt sein müssen, bevor sich die SP an einer Regierung beteiligt?
Wir haben in den Niederlanden eine lange Geschichte von Koalitionen. Das funktioniert so nicht, daß man vorab Ultimaten setzt. Man verhandelt miteinander und schaut, was herauskommt. Entweder es geht, oder es geht nicht. Man muß wissen, daß die Christdemokraten eine sehr vielschichtige Partei sind. Die eigentlichen Neoliberalen sind die Rechtsliberalen von der VVD, mit der die CDA zuletzt regiert hat. Davor hat die CDA lange Zeit gemeinsam mit den Sozialdemokraten regiert, oder sie saß mit uns zusammen in der Opposition, als Liberale und Sozialdemokraten regierten. Einige ihrer Mitglieder haben sogar ein starkes Interesse an unserer Partei. In der letzten Wahl konnten wir einen ziemlich großen Anteil ehemaliger CDA-Wähler gewinnen. Die Christdemokraten können sich in verschiedene Richtungen entwickeln. Sie müssen sich jetzt entscheiden.
Was macht die SP mit dieser politischen Situation?
Es ist noch keine neue Regierung gebildet worden, aber das neue Parlament ist schon zusammengetreten. Es gibt eine kleine, mehr oder weniger linke Mehrheit aus GroenLinks, SP, Linksliberalen, Tierschutzpartei, Sozialdemokraten und ChristenUnie, die schon einige interessante Dinge durchgesetzt hat. Zum Beispiel wurde ein Anfang gemacht mit einem Bleiberecht für abgelehnte Asylbewerber, die vor 2001 eingereist sind. Wir haben außerdem etwas für den Tierschutz erreicht und noch einige andere kleine, aber wichtige Dinge. Und nun werden wir sehen, was die Koalitionsgespräche ergeben. Wenn wir mit ihnen nicht zufrieden sind, werden wir eben die größte Oppositionspartei sein. Das ist auch eine interessante Sache.
Ansonsten bereiten wir uns schon auf die nächsten Wahlen vor. Im März werden die Provinzparlamente und der Senat gewählt, der ein bißchen mit dem Bundesrat in Deutschland verglichen werden kann. Der Senat muß allen Gesetzen zustimmen, deshalb ist es wichtig, daß wir auch dort stärker werden. Das nützt uns immer, ob wir in der Koalition oder in der Opposition sind. Nochmals: Wir fürchten nichts, wir trauen uns alles. Deswegen nennen wir uns auch gerne die Partei des neuen Optimismus.
darkrond - 13. Jan, 16:26
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