Eigenverantwortung muss neu definiert werden
[Weinheimer Nachrichten vom 04. Januar 2007]
Weinheim. (-) Im April 2002 fand in der thüringischen Landeshauptstadt Erfurt der bis heute schlimmste Amoklauf eines Schülers statt. Auch Matthias Bärwolff war damals Schüler in der Stadt.
Heute ist er Abgeordneter. Für die Linkspartei sitzt er im Thüringer Landtag und im Erfurter Stadtparlament. Seine Schwerpunkte sind Kinder- und Jugendpolitik. Vor kurzem war er zu Gast bei der Linkspartei in Weinheim.
Moderiert von Carsten Labudda ging Bärwolff auf die Wertedebatte ein. Der Begriff der Eigenverantwortung habe laut Bärwolff in den letzten Jahren eine Wandlung erfahren. Die Neoliberalen hätten in den letzten zwanzig Jahren immer mehr die Vorstellung durchgesetzt, "jeder könne es schaffen, wenn er sich nur richtig anstrenge". Damit sei der Begriff der Eigenverantwortung für einen in der bundesdeutschen Geschichte nie da gewesenen Sozialabbau missbraucht worden.
Gleichzeitig zeige sich heute, dass die neoliberale Version von der Eigenverantwortung eine zunehmende Isolation der Menschen mit sich bringe. Bärwolff beschrieb das so: "Wer heute Hilfe annimmt, gilt als gebrandmarkt. Es heißt: Der kann"s nicht selbst." Aus Angst vor dem Status als Verlierer werde zu oft Hilfe ausgeschlagen. Das beginne bereits damit, dass über Probleme nicht gesprochen werde, um den Schein zu wahren. Diese Sprachlosigkeit sei eine der größten Barrieren, wenn es darum gehe, Probleme zu lösen. Um sie zu mindern, müsse Eigenverantwortung neu gedacht werden. Statt des Gefühls, es allein schaffen zu müssen, sollten bereits junge Menschen lernen, Probleme miteinander zu lösen. Zu Eigenverantwortung gehöre schließlich auch, Hilfe anzunehmen, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben.
Ein Mittel sah Bärwolff in der Einrichtung einer neuen Form von Mütterberatung. Heute sei diese zumeist in so genannten "Komm-Strukturen" eingerichtet. Das bedeutet, junge Mütter müssten erst irgendwelche Geschäftsstellen aufsuchen. Damit könne man aber bei weitem nicht alle jungen Mütter erreichen. Deshalb habe man gemeinsam mit dem Kinderschutzbund in Erfurt ein Modell der aufsuchenden Mütterberatung entwickelt und bereits Erfolge erzielt.
Weiterhin müsse auch die Berufswelt deutlich familienfreundlicher werden. Es könne nicht angehen, wenn inzwischen manche Eltern zwei oder drei Jobs annehmen müssten, um die Familie einigermaßen über Wasser halten zu können. Die Folge sei, dass die Kinder immer mehr vor den Fernseher oder Computer gesetzt würden und dann sich selbst überlassen blieben. Damit werde eine emotionale Verarmung gefördert. Stattdessen sei es unerlässlich, dass die Arbeitszeit der Menschen verkürzt und über einen gesetzlichen Mindestlohn sozial abgesichert würde.
Für junge Menschen konstatierte Matthias Bärwolff einen Mangel an sinnvollen und vor allem preisgünstigen Möglichkeiten der gemeinsamen Freizeitgestaltung. Diese sollten verstärkt in die Schulen geholt werden. Dazu müssten Ganztagsangebote auf alle Schulen ausgeweitet werden. Weiterhin sei es wichtig, die Schulsozialarbeit flächendeckend auszubauen.
In einem letzten Punkt ging Bärwolff auf die Debatte um so genannte "Killerspiele" ein. Warum, fragte Bärwolff, forderten so viele Politiker das Verbot dieser Computerspiele, aber keine Rede von einem Verbot von Waffen? Eine Novellierung des Waffengesetzes sei viel vordringlicher. Alle Amokläufer in Deutschland hätten ihre Waffen legal erworben. Das sei ein Unding. "Privatpersonen brauchen keine Waffen. Und 16-Jährige brauchen nicht Mitglied in Schützenvereinen werden."
Weinheim. (-) Im April 2002 fand in der thüringischen Landeshauptstadt Erfurt der bis heute schlimmste Amoklauf eines Schülers statt. Auch Matthias Bärwolff war damals Schüler in der Stadt.
Heute ist er Abgeordneter. Für die Linkspartei sitzt er im Thüringer Landtag und im Erfurter Stadtparlament. Seine Schwerpunkte sind Kinder- und Jugendpolitik. Vor kurzem war er zu Gast bei der Linkspartei in Weinheim.
Moderiert von Carsten Labudda ging Bärwolff auf die Wertedebatte ein. Der Begriff der Eigenverantwortung habe laut Bärwolff in den letzten Jahren eine Wandlung erfahren. Die Neoliberalen hätten in den letzten zwanzig Jahren immer mehr die Vorstellung durchgesetzt, "jeder könne es schaffen, wenn er sich nur richtig anstrenge". Damit sei der Begriff der Eigenverantwortung für einen in der bundesdeutschen Geschichte nie da gewesenen Sozialabbau missbraucht worden.
Gleichzeitig zeige sich heute, dass die neoliberale Version von der Eigenverantwortung eine zunehmende Isolation der Menschen mit sich bringe. Bärwolff beschrieb das so: "Wer heute Hilfe annimmt, gilt als gebrandmarkt. Es heißt: Der kann"s nicht selbst." Aus Angst vor dem Status als Verlierer werde zu oft Hilfe ausgeschlagen. Das beginne bereits damit, dass über Probleme nicht gesprochen werde, um den Schein zu wahren. Diese Sprachlosigkeit sei eine der größten Barrieren, wenn es darum gehe, Probleme zu lösen. Um sie zu mindern, müsse Eigenverantwortung neu gedacht werden. Statt des Gefühls, es allein schaffen zu müssen, sollten bereits junge Menschen lernen, Probleme miteinander zu lösen. Zu Eigenverantwortung gehöre schließlich auch, Hilfe anzunehmen, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben.
Ein Mittel sah Bärwolff in der Einrichtung einer neuen Form von Mütterberatung. Heute sei diese zumeist in so genannten "Komm-Strukturen" eingerichtet. Das bedeutet, junge Mütter müssten erst irgendwelche Geschäftsstellen aufsuchen. Damit könne man aber bei weitem nicht alle jungen Mütter erreichen. Deshalb habe man gemeinsam mit dem Kinderschutzbund in Erfurt ein Modell der aufsuchenden Mütterberatung entwickelt und bereits Erfolge erzielt.
Weiterhin müsse auch die Berufswelt deutlich familienfreundlicher werden. Es könne nicht angehen, wenn inzwischen manche Eltern zwei oder drei Jobs annehmen müssten, um die Familie einigermaßen über Wasser halten zu können. Die Folge sei, dass die Kinder immer mehr vor den Fernseher oder Computer gesetzt würden und dann sich selbst überlassen blieben. Damit werde eine emotionale Verarmung gefördert. Stattdessen sei es unerlässlich, dass die Arbeitszeit der Menschen verkürzt und über einen gesetzlichen Mindestlohn sozial abgesichert würde.
Für junge Menschen konstatierte Matthias Bärwolff einen Mangel an sinnvollen und vor allem preisgünstigen Möglichkeiten der gemeinsamen Freizeitgestaltung. Diese sollten verstärkt in die Schulen geholt werden. Dazu müssten Ganztagsangebote auf alle Schulen ausgeweitet werden. Weiterhin sei es wichtig, die Schulsozialarbeit flächendeckend auszubauen.
In einem letzten Punkt ging Bärwolff auf die Debatte um so genannte "Killerspiele" ein. Warum, fragte Bärwolff, forderten so viele Politiker das Verbot dieser Computerspiele, aber keine Rede von einem Verbot von Waffen? Eine Novellierung des Waffengesetzes sei viel vordringlicher. Alle Amokläufer in Deutschland hätten ihre Waffen legal erworben. Das sei ein Unding. "Privatpersonen brauchen keine Waffen. Und 16-Jährige brauchen nicht Mitglied in Schützenvereinen werden."
darkrond - 4. Jan, 06:54
Trackback URL:
https://linksparteiweinheim.twoday.net/stories/3138768/modTrackback