Bis zum Sommer 2007 eine neue Linkspartei in Deutschland

[Brief des Parteivorsitzenden Lothar Bisky an die Mitglieder der Linkspartei.PDS vom 24. Mai 2006]

Liebe Genossin, lieber Genosse,

Wahlaktivitäten und Parteitage auf Bundes- und Landesebene liegen hinter uns. Wichtige Wahlkämpfe stehen unmittelbar vor uns. Dennoch: Die Zeit drängt: Trotz mancher Turbulenzen und Schwierigkeiten - wir halten an unserem Vorhaben fest, gemeinsam mit der WASG, bis zum Sommer 2007 eine neue Linkspartei in Deutschland zu schaffen. Eine solche Partei muss von unten wachsen, von unseren Mitgliedern gewollt und gestaltet werden.
Im Februar hat die gemeinsame Programmgruppe, bestehend aus Mitgliedern der WASG und unserer Partei "Programmatische Eckpunkte" vorgestellt. Mit den Eckpunkten liegt euch kein Programmentwurf vor. In diesem Papier wurden gemeinsame Positionen formuliert, politische Projekte, strategische Überlegungen aufgeschrieben und offene Fragen gestellt, die unter verschiedenen linken Kräften diskutiert werden.

Längst haben in den Landesverbänden die Debatten begonnen. In Brandenburg und Sachsen fanden erste Podiumsveranstaltungen statt. Einige Basisgruppen haben die Diskussion munter in ihre Hand genommen. Doch wenn wir im Herbst zu einem Resümee kommen wollen, dann müssen wir jetzt noch einen Schritt zulegen.

Im Mittelpunkt der Debatten stehen für mich folgende Fragen.
  1. Welches sind neue Herausforderungen in der Gesellschaft, die neue Antworten auch von den Linken verlangen und wie stellen wir uns ihnen?
  2. In den Eckpunkten werden Grundpositionen der neuen Linkspartei benannt: die Orientierung auf die Verbindung von Freiheit und Gleichheit in einem modernen Gerechtigkeitsverständnis, welche die Garantie von politischen und sozialen Rechten für grundlegend und entscheidend hält, um ein selbstbestimmtes Leben führen zu können. Demokratischer Sozialismus sollte als inhaltliche Leitidee unseres Handelns auch in einer neuen linken Partei seine Verankerung finden. Wir müssen diskutieren, welchen Stellenwert der demokratische Sozialismus in unserem neuen Parteiprogramm einnehmen soll?
  3. Reformprojekte, wie Arbeitszeitverkürzung, öffentlich geförderte Beschäftigungssektoren, Zukunftsinvestitionsprogramm, soziale Grundsicherung, Bildung und Umwelt gehören, zum politischen Alternativangebot. Wie wollen wir an deren Realisierung herangehen?
  4. Die Programmgruppe hat sich nicht in allen inhaltlichen Fragen einigen können, sondern bewusst festgehalten, wo es Dissense gibt. Dazu gehört zum Beispiel die Frage, ob wir für eine bedarfsorientierte Grundsicherung oder ein bedingungsloses Grundeinkommen eintreten. Dahinter stehen auch unterschiedliche Vorstellungen über die Zukunft der Arbeitswelt. Diese Dissense müssen wir weiter diskutieren, aber im Verlauf des Programmprozesses auch einer Entscheidung zuführen.
  5. Protest und Widerstand - Anspruch auf politische Gestaltung - Anstreben von Zielen, die über diese Gesellschaft hinausweisen, haben wir als "strategisches Dreieck" unseres politischen Handelns bezeichnet. Wie wollen wir dem in unserer Politik Rechnung tragen?
  6. Entscheidend für unser politisches Wirken ist der Kampf gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus. Wie können wir aus der aktuellen Debatte heraus - weg vom Aktionismus - zu einer dauerhaften, an die Wurzeln gehenden Veränderung dieser menschenverachtenden Lebenshaltungen kommen?
Ich werde die Landesvorstände bitten, Arbeitsgruppen zu bilden, die die Programmdebatte koordinieren, soweit sie nicht schon so arbeiten und sie bitten, die entscheidenden Punkte aus den Diskussionen für die Gemeinsame Programmgruppe herauszuarbeiten. Zugleich werden in den Landesverbänden Referentenpools gebildet, damit ihr jederzeit Gesprächspartnerinnen und -partner für Foren und Basisveranstaltungen findet.

Das "Eckpunkte-Papier" wurde im Pressedienst 9/2006 veröffentlicht, im Internet kann man es auch nachlesen unter http://sozialisten.de/sozialisten/parteibildung/index.htm und ihr findet dort auch gleich noch interessante Kritiken und gehaltvolle Reaktionen auf das Eckpunktepapier. Anfang Juni wird ein Manifest zur Gründung einer neuen Linken erscheinen. Es ist günstig dieses Manifest in die Debatte einzubeziehen. Ein Manifest richtet sich wie ein Aufruf an die Öffentlichkeit. Als Mitglieder einer Partei stehen wir weiterhin vor der Aufgabe, die Grundpositionen der politischen Arbeit, der Strategie einer neuen Linkspartei systematisch und analytisch exakt zu entwickeln, um in einem demokratischen Prozess gemeinsam darüber zu entscheiden.
Mir ist nicht daran gelegen, dass all unsere Diskussionen einfach so "im Raum stehen bleiben". Deshalb bemühen wir uns, dass regelmäßig in den "Kleinen Zeitungen", im ND, in Zeitschriften wie "Utopie-kreativ", "Sozialismus" und "Z-Marxistische Erneuerung" über die programmatischen Veranstaltungen und Positionsbestimmungen berichtet wird. Ich will keine Eulen nach Athen tragen, aber ich gehe davon aus, dass ihr die Diskussionsveranstaltungen gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen der WASG vorbereitet und durchführt.

Ein Punkt der mir besonders am Herzen liegt: Mit unserer Programmdebatte sollten wir GewerkschafterInnen, Bewegungen, Verbände, Intellektuelle aus Kultur, Bildung, Gesundheitswesen, UnternehmerInnen, VertreterInnen der Kirchen ansprechen. Ich könnte noch mehr Gesprächspartnerinnen aufzählen, mir geht es darum, dass die innerparteiliche Auseinandersetzung zu einer neuen Programmatik transparent, öffentlichkeitswirksam und interessant zu gestalten sein wird, dass wir neugierig sind auf Kritik und Anstöße. Auch die anderen Parteien führen ihre Programmdebatten öffentlich, das sollte uns auch gelingen.

Ich schlage vor, dass wir im Herbst 2006 auf Bundesebene eine gemeinsame Veranstaltung von Linkspartei.PDS und WASG durchführen. In Arbeitskreisen sollen erarbeitete Positionen vorgestellt werden. Arbeits- und Interessengemeinschaften, Gäste aus anderen linken Parteien, aus Bewegungen, Organisationen, Verbänden sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind uns willkommen. Diese Veranstaltung ist ein Schritt auf dem Weg zu einem Gründungsdokument, über das die Mitglieder beider Parteien in Urabstimmung entscheiden werden.

Eure Ansprechpartner für die jetzige Diskussion sind die Kreisvorstände und der Landesvorstand. Die parteinahen Stiftungen haben ihre Unterstützung zugesagt. Die Mitglieder des Parteivorstands stehen euch selbstverständlich auch als ReferentInnen bzw. DiskussionspartnerInnen zur Verfügung.
Die Gemeinsame Programmgruppe ist der inhaltliche Ansprechpartner für Meinungsäußerungen. Sie plant, regelmäßig einen "Informationsreader der Gemeinsamen Programmgruppe" herauszugeben.

Ich wünsche uns eine an- und im positiven Sinne aufregende Programmdebatte auf dem Wege zu einer neuen linken Partei in Deutschland. Die Chancen stehen gut, denn schauen wir auf die Mindestlohndebatte, auf Kritik an Rentenentscheidungen und kommender Gesundheitsreform, wir haben schon jetzt etwas im Land verändert. Gemeinsam mit unseren Freundinnen und Freunden in der Partei der europäischen Linken, die große Hoffnungen in die Parteineubildung setzen, haben demokratisch sozialistische Ideen und linke Politik eine Renaissance. Dafür haben wir immer gekämpft, dafür lohnt es zu streiten und Engagement für die programmatische Debatte aufzubringen.

Mit solidarischen Grüßen

Lothar Bisky

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