"Abbau sozialer Standards schafft keine Arbeitsplätze"
[Weinheimer Nachrichten vom 18. März 2006]
Weinheim. (pro) "Damit die Wirtschaft den Menschen dient" hat Jürgen Gulden sein Flugblatt überschrieben, mit dem er um das Vertrauen der Bürger bei der Landtagswahl am 26. März wirbt. Das ehemalige SPD-Mitglied kandidiert für die Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit, kurz: WASG, weil die Sozialdemokraten seiner Meinung nach eine "neo-liberale Partei der politischen Kälte geworden sind". Als freigestellter Betriebsrat bei der Firma Freudenberg sieht der 58-Jährige den Schwerpunkt seines politischen Engagements in der "gerechten Verteilung der Arbeit und einer menschenwürdigen sozialen Absicherung aller Menschen". Im Vorfeld der Wahl stand er unserer Zeitung für ein Interview zur Verfügung.
Sie kandidieren zum ersten Mal für ein politisches Amt. Fühlen Sie sich denn schon als Politiker?
JÜRGEN GULDEN: Ich sehe mich als Sozialpolitiker im Bezug auf das Thema Arbeit. Aber sonst muss ich mich noch einarbeiten, das räume ich gerne ein, obwohl ich sehr viel lese, um möglichst viele Informationen zu sammeln. Wenn mich die Menschen etwas fragen, worauf ich keine Antwort habe, dann sage ich immer: Das weiß ich nicht, aber ich mache mich schlau! So habe ich das auch als Betriebsrat bei Freudenberg bisher immer gehalten.
Sie sind seit 1995 im Betriebsrat. Hat Ihre Kandidatur auch mit den Veränderungen bei Freudenberg zu tun?
GULDEN: In gewisser Weise schon, obwohl die WASG auf mich zugekommen ist und gefragt hat, ob ich für sie kandidieren wolle. Bei Freudenberg hat sich seit 1995 für die Arbeitnehmer vieles verschlechtert. Sie müssen mehr arbeiten, haben weniger Freiheiten, alles ist unpersönlicher geworden. Aber vor allem: Fast jeder hat heute Angst um seinen Job - man denke nur an die 350 Arbeitsplätze, die aktuell bei der Vliesstoffe KG in Weinheim bedroht sind.
Wie wollen Sie das als Politiker ändern?
GULDEN: Bund und Land müssen die Rahmenbedingungen wieder an den Interessen der Arbeitnehmer ausrichten, nicht am Gewinn der Unternehmen. Nehmen Sie nur das Beispiel Freudenberg: In den besten Zeiten waren in Weinheim 14700 Menschen beschäftigt. Heute macht Freudenberg zwar Rekordgewinne, aber hat in Weinheim weniger als 6000 Mitarbeiter, Tendenz weiter fallend. Und das betrifft nicht nur die Produktion, sondern neuerdings auch den Bereich Forschung und Entwicklung. Das Schlimme daran ist doch, dass all diese Jobs für junge Menschen auf Dauer verloren sind.
Sie waren in den 90er Jahren Mitglied der SPD, die für sich ja auch in Anspruch nimmt, gegen die Arbeitslosigkeit zu kämpfen. Warum sind Sie ausgetreten?
GULDEN: Ich konnte die politische Kälte in der SPD nicht länger mitmachen. Hartz IV, Arbeiten bis 67, keine Rentenerhöhungen - das ist eine neo-liberale Politik, die ich ablehne und die meiner Meinung nach zum Scheitern verurteilt ist.
Was will die WASG anders machen?
GULDEN: Es hat sich gezeigt, dass der Abbau sozialer Standards keineswegs Arbeitsplätze schafft und auch die Finanzmisere der öffentlichen Haushalte nicht beenden kann. Um es auf den Punkt zu bringen: Wir fordern kürzere Arbeitszeiten für alle anstatt Arbeitslosigkeit für viele. Hartz IV muss weg, denn Arbeitslosigkeit darf nicht in Armut und Ausgrenzung enden. Wir brauchen Ausbildungsplätze für alle Schulabgänger, aber zum Beispiel auch mehr Geld für die Bildung, kleinere Schulklassen und ein kostenloses Studium.
Das klingt alles ein bisschen wie das "Paradies auf Erden". Wer soll das bezahlen?
GULDEN: Die Vermögenssteuer sollte wieder eingeführt werden und zwar ab einem Geldvermögen von einer Million Euro. Das allein brächte in Baden-Württemberg 2,5 Milliarden Euro pro Jahr in den Landeshaushalt.
Aber selbst dieser Betrag würde doch für die Verwirklichung der Ziele der WASG bei weitem nicht ausreichen. Versprechen Sie den Wählern nicht zu viel?
GULDEN: Das sehe ich nicht so. Zum einen könnte mit der Rücknahme der steuerlichen Vergünstigungen, die in Bund und Land seit 2000 beschlossen wurden, bereits ein Großteil finanziert werden. Und zum anderen geht es grundsätzlich um einen Richtungswechsel. Mir ist klar, dass wir nicht alles auf einmal erreichen können. Aber wie heißt es doch so schön: Ein Stein nach dem anderen gibt ein Haus!
Wenn Sie alle steuerlichen Vergünstigungen der vergangenen Jahre für Unternehmen zurücknehmen, dann gehen aber vermutlich noch mehr Arbeitsplätze verloren, weil diese ins Ausland verlagert werden.
GULDEN: Diese Drohung hat bei den etablierten Parteien bisher ja auch prima gewirkt. Doch ich glaube nicht, dass es so kommen würde. Schließlich ist der deutsche Markt für die Unternehmen von erheblicher Bedeutung; wenn sich hierzulande keiner mehr die im Ausland produzierten Waren leisten kann, dann würde das den Firmen erheblich schaden. Aber ich sage auch: Jeder muss seinen eigenen kleinen Beitrag leisten und beim Einkaufen darauf achten, dass die Hersteller von Produkten ihre Beschäftigten fair behandeln und die Umwelt nicht mehr als notwendig belasten.
Wie schätzen Sie die Chancen der WASG und Ihre eigenen bei der Wahl ein?
GULDEN: Mein Ziel sind sechs bis acht Prozent im Wahlkreis, aber da ich das erste Mal kandidiere, ist eine Prognose natürlich ganz schwierig. Das würde aber dem Ergebnis entsprechen, das ich landesweit der WASG zutraue.
Weinheim. (pro) "Damit die Wirtschaft den Menschen dient" hat Jürgen Gulden sein Flugblatt überschrieben, mit dem er um das Vertrauen der Bürger bei der Landtagswahl am 26. März wirbt. Das ehemalige SPD-Mitglied kandidiert für die Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit, kurz: WASG, weil die Sozialdemokraten seiner Meinung nach eine "neo-liberale Partei der politischen Kälte geworden sind". Als freigestellter Betriebsrat bei der Firma Freudenberg sieht der 58-Jährige den Schwerpunkt seines politischen Engagements in der "gerechten Verteilung der Arbeit und einer menschenwürdigen sozialen Absicherung aller Menschen". Im Vorfeld der Wahl stand er unserer Zeitung für ein Interview zur Verfügung.
Sie kandidieren zum ersten Mal für ein politisches Amt. Fühlen Sie sich denn schon als Politiker?
JÜRGEN GULDEN: Ich sehe mich als Sozialpolitiker im Bezug auf das Thema Arbeit. Aber sonst muss ich mich noch einarbeiten, das räume ich gerne ein, obwohl ich sehr viel lese, um möglichst viele Informationen zu sammeln. Wenn mich die Menschen etwas fragen, worauf ich keine Antwort habe, dann sage ich immer: Das weiß ich nicht, aber ich mache mich schlau! So habe ich das auch als Betriebsrat bei Freudenberg bisher immer gehalten.
Sie sind seit 1995 im Betriebsrat. Hat Ihre Kandidatur auch mit den Veränderungen bei Freudenberg zu tun?
GULDEN: In gewisser Weise schon, obwohl die WASG auf mich zugekommen ist und gefragt hat, ob ich für sie kandidieren wolle. Bei Freudenberg hat sich seit 1995 für die Arbeitnehmer vieles verschlechtert. Sie müssen mehr arbeiten, haben weniger Freiheiten, alles ist unpersönlicher geworden. Aber vor allem: Fast jeder hat heute Angst um seinen Job - man denke nur an die 350 Arbeitsplätze, die aktuell bei der Vliesstoffe KG in Weinheim bedroht sind.
Wie wollen Sie das als Politiker ändern?
GULDEN: Bund und Land müssen die Rahmenbedingungen wieder an den Interessen der Arbeitnehmer ausrichten, nicht am Gewinn der Unternehmen. Nehmen Sie nur das Beispiel Freudenberg: In den besten Zeiten waren in Weinheim 14700 Menschen beschäftigt. Heute macht Freudenberg zwar Rekordgewinne, aber hat in Weinheim weniger als 6000 Mitarbeiter, Tendenz weiter fallend. Und das betrifft nicht nur die Produktion, sondern neuerdings auch den Bereich Forschung und Entwicklung. Das Schlimme daran ist doch, dass all diese Jobs für junge Menschen auf Dauer verloren sind.
Sie waren in den 90er Jahren Mitglied der SPD, die für sich ja auch in Anspruch nimmt, gegen die Arbeitslosigkeit zu kämpfen. Warum sind Sie ausgetreten?
GULDEN: Ich konnte die politische Kälte in der SPD nicht länger mitmachen. Hartz IV, Arbeiten bis 67, keine Rentenerhöhungen - das ist eine neo-liberale Politik, die ich ablehne und die meiner Meinung nach zum Scheitern verurteilt ist.
Was will die WASG anders machen?
GULDEN: Es hat sich gezeigt, dass der Abbau sozialer Standards keineswegs Arbeitsplätze schafft und auch die Finanzmisere der öffentlichen Haushalte nicht beenden kann. Um es auf den Punkt zu bringen: Wir fordern kürzere Arbeitszeiten für alle anstatt Arbeitslosigkeit für viele. Hartz IV muss weg, denn Arbeitslosigkeit darf nicht in Armut und Ausgrenzung enden. Wir brauchen Ausbildungsplätze für alle Schulabgänger, aber zum Beispiel auch mehr Geld für die Bildung, kleinere Schulklassen und ein kostenloses Studium.
Das klingt alles ein bisschen wie das "Paradies auf Erden". Wer soll das bezahlen?
GULDEN: Die Vermögenssteuer sollte wieder eingeführt werden und zwar ab einem Geldvermögen von einer Million Euro. Das allein brächte in Baden-Württemberg 2,5 Milliarden Euro pro Jahr in den Landeshaushalt.
Aber selbst dieser Betrag würde doch für die Verwirklichung der Ziele der WASG bei weitem nicht ausreichen. Versprechen Sie den Wählern nicht zu viel?
GULDEN: Das sehe ich nicht so. Zum einen könnte mit der Rücknahme der steuerlichen Vergünstigungen, die in Bund und Land seit 2000 beschlossen wurden, bereits ein Großteil finanziert werden. Und zum anderen geht es grundsätzlich um einen Richtungswechsel. Mir ist klar, dass wir nicht alles auf einmal erreichen können. Aber wie heißt es doch so schön: Ein Stein nach dem anderen gibt ein Haus!
Wenn Sie alle steuerlichen Vergünstigungen der vergangenen Jahre für Unternehmen zurücknehmen, dann gehen aber vermutlich noch mehr Arbeitsplätze verloren, weil diese ins Ausland verlagert werden.
GULDEN: Diese Drohung hat bei den etablierten Parteien bisher ja auch prima gewirkt. Doch ich glaube nicht, dass es so kommen würde. Schließlich ist der deutsche Markt für die Unternehmen von erheblicher Bedeutung; wenn sich hierzulande keiner mehr die im Ausland produzierten Waren leisten kann, dann würde das den Firmen erheblich schaden. Aber ich sage auch: Jeder muss seinen eigenen kleinen Beitrag leisten und beim Einkaufen darauf achten, dass die Hersteller von Produkten ihre Beschäftigten fair behandeln und die Umwelt nicht mehr als notwendig belasten.
Wie schätzen Sie die Chancen der WASG und Ihre eigenen bei der Wahl ein?
GULDEN: Mein Ziel sind sechs bis acht Prozent im Wahlkreis, aber da ich das erste Mal kandidiere, ist eine Prognose natürlich ganz schwierig. Das würde aber dem Ergebnis entsprechen, das ich landesweit der WASG zutraue.
darkrond - 18. Mär, 15:50
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